Der Zaubercode
ihnen, umgeben von diesen wundervollen, wilden Tieren. Sie wusste, sie konnten gefährlich sein, aber sie hatte keine Angst. Alles, was sie stattdessen empfand, war Wunder. Ohne einen bewussten Gedanken streckte sie ihre Hand aus, um das hinreißende Tier zu berühren, welches neben ihr stand. Sein Fell fühlte sich rau an, fast borstig, aber darunter war der Löwe warm — genauso warm wie Gala selber. In diesem Moment wusste sie, dass sie ein und dasselbe waren — Fleisch und Knochen, eine Form, die sie in der physischen Dimension brauchte.
Ihr Geist streckte sich nach dem Löwen aus, sie versuchte, ihn zu beruhigen, ihm zu sagen, sie war sein Freund, war hier um zu helfen. Und der Löwe schien sie zu verstehen. Schnurrend legte sich das große Tier vor ihr auf den Boden und seine langen Barthaare kitzelten sie angenehm an ihren Knöcheln.
Gala beugte sich nach unten und berührte das Halsband, welches der Löwe trug. Das Tier winselte und sie zwang die Ketten und das Band mit ihren Gedanken, sich zu öffnen, da sie diese majestätische Kreatur unbedingt befreien wollte. Mit einem lauten Geräusch fielen alle diese Folterinstrumente ab, nicht nur von dem Löwen neben ihr, sondern von allen.
Die Löwen brüllten einstimmig und dann kam der größte von ihnen zu ihr. Immer noch benebelt und ohne Angst, streckte ihm Gala ihre Hand entgegen und lächelte, als er ihre Handfläche mit seiner rauen Zunge ableckte.
Langsam begann sie, sich zu beruhigen und bemerkte das Gemurmel der Menge. Sie blickte auf, sah, wie alle sie anschauten und realisierte, was gerade geschehen war. Sie hatte wieder einmal die Kontrolle verloren, und sie hatte es so öffentlich getan, wie das überhaupt möglich war.
Ihre Hand erhob sich instinktiv, um ihr Tuch zu berühren, aber stattdessen spürte sie ihre Haare, die im Wind wehten. Ihre Verkleidung war weg, ihr Tuch lag in der Mitte der Arena. Es musste sich irgendwann, von ihr unbemerkt, gelöst haben.
Galas Atmung beschleunigte sich. Tausende Augen starrten sie gerade an. Blaise hatte sie gebeten, sich unauffällig zu verhalten und sie hatte ihn immer wieder enttäuscht, auf die auffälligste Art und Weise. Ihr Unwohlsein wuchs mit jedem Augenblick und sie blickte sich verzweifelt um. Die Löwen standen ruhig neben ihr, wie eine Mauer tierischen Fleisches. Auf der anderen Seite der Arena standen die Männer, die eigentlich gegen sie kämpfen sollten, alle zusammengedrängt, und sahen sie schockiert und ungläubig an.
Da wusste Gala, was sie zu tun hatte. Ihre Gedanken gingen zu diesem Ort in ihr, den sie jetzt zu erkennen begann — den Ort, der es ihr auch vorher schon ermöglicht hatte, zu zaubern. Sie war noch weit davon entfernt, ihre Fähigkeiten kontrollieren zu können, aber zumindest bemerkte sie jetzt, wenn sie kurz davor war, sie zu benutzen.
Wie aus der Entfernung spürte sie, genau das gleiche zu tun, was sie auch den anderen Tag beim Tanzen gemacht hatte. Sie konzentrierte sich mit aller Kraft auf Esther, Maya und die Löwen und ließ sich von dem Gefühl überfluten, sich an einem anderen Ort befinden zu wollen. Sie schloss ihre Augen und wünschte sie alle zurück an den Ort, der die letzten Tage ihr zu Hause gewesen war.
Sie wünschte sich zum Gasthaus zurück.
Und als sie ihre Augen wieder öffnete, war das genau der Ort, an dem sie sich befanden — sie, die Löwen und die zwei älteren Frauen.
Unglücklicherweise standen vor ihnen, auf dem toten Weizenfeld, Hunderte schwer bewaffneter Soldaten.
Sie gingen auf den Gasthof zu, und als sich Gala mit ihrer eigenartigen Begleitung vor ihnen materialisierte, brauchten sie nur einen winzigen Moment um zu reagieren. Ihre Gesichter waren hart, ausdruckslos, und Gala wusste plötzlich, dass sie ihretwegen hier waren — genau wie Blaise befürchtet hatte.
Ihr Herz klopfte und in ihrer verzweifelten Panik schaffte Gala etwas, das sie die ganzen letzten Tage vergeblich versucht hatte: sich mit ihrem Schöpfer in Verbindung zu setzen.
»Blaise, ich glaube, sie haben uns gefunden.«
39. Kapitel: Blaise
Blaise rieb sich seine Augen und kämpfte gegen die Müdigkeit an, um noch eine weitere Zeile des Codes zu schreiben. Sein Gehirn funktionierte kaum noch, aber er war nur noch wenige Stunden davon entfernt, den Zauberspruch zu beenden, der ihn mit aufeinanderfolgenden Teleportationssprüngen zu Gala bringen würde. Seine Aufgabe wurde durch die Tatsache verkompliziert, dass er nur einige wenige vorgeschriebene
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