Der zauberer von Schreckenstein
Stephan sagte.
Mit seinem Freund Ottokar ging er in den Südflügel. Im Schein der Sparbirne zogen sie sich vor ihren Schränken aus.
„Mensch, du...“ Weit vorgebeugt, kroch Stephan förmlich in den Schrank, kam wieder heraus und atmete schwer. „Mein Akkordeon ist weg.“
Ottokar wusste sofort, was das bedeutete. Er stieg wieder in seine Hose und sagte nur: „Dann wird das leider eine kurze Nacht. Aber es hilft nichts.“
Stephan band sich das Sprungseil um den Bauch, steckte die Taschenlampe wieder ein, schlüpfte in seine leisesten Latschen. In kompletter Streichausrüstung gingen die beiden den Weg zurück.
Im Westflügel kam ihnen ein Ritter im Schlafanzug entgegen.
„Ist was los?“ fragte er. Es war Armin.
„Hier ist immer was los“, antwortete Ottokar. „Hast du das noch nicht bemerkt?“
„Man wird ja noch fragen dürfen“, maulte Armin.
„Schnauze! Hau dich aufs Ohr, damit du frisch bist, wenn du Wache hast!“ fauchte Stephan ihn an.
Es traf sich gut. Im Nordflügel stand Mücke noch vor seinem Schrank. Auch er wunderte sich. Ottokar erklärte kurz die Lage und bat ihn, hinter ihnen zuzusperren.
„Vielleicht ein Lichtblick?“ dachte Mücke laut und drehte an dem riesigen Schlüssel des alten Ziehschlosses.
Auf dem Weg zum Radstall kamen ihnen Walter und Beni entgegen. Sie befanden sich auf Streife. Sie wunderten sich nicht, plötzlich zwei der führenden Ritter vor sich zu haben, und verneinten Ottokars Frage, ob sie drunten am Steg etwas Verdächtiges bemerkt hätten. Auch Ralph, der im Bootshaus auf Posten sitze, habe nichts festgestellt.
„Wir müssen eine Spur verfolgen!“ Ottokars Auskunft genügte. Neugier hat im Einsatz nichts verloren. Beni schloss das Tor hinter ihnen, und über die Zugbrücke fuhren sie hinaus in die Nacht.
Das Ziel war klar. Für Stephans Akkordeon gab es im näheren Umkreis nur einen Interessenten: Beatrix. Der blonde Wuschelkopf, auf den Tasten und Knöpfen selbst beachtlich sicher, besaß ein kleineres Instrument mit weniger Bässen und hatte schon einmal versucht, Stephans bestes Stück verschwinden zu lassen.
Vielleicht war’s tatsächlich ein Lichtblick? Bei den gegenwärtigen getrübten Beziehungen jedenfalls kein Wunder.
Nach der kurzen Steigung hinauf zu Drei Tannen rollten sie das lange Gefalle hinunter, über den Kirchplatz von Wampoldsreute hinein in den Wald, wo ihnen das endlose Geschlängel bergauf ordentlich in die Beine ging.
„Langsam!“ sagte Ottokar einmal. „Sonst holen wir womöglich jemand ein, der uns nicht zu sehen braucht.“
Von der Abzweigung nach Rosenfels fuhren sie ohne Licht bis zum Holzschuppen. Hier versteckten sie die Räder. Zügig, da mit den Örtlichkeiten vertraut, bewegten sie sich weiter, als wäre es ihre Burg. Ottokar öffnete das Tor mit eigenem Nachschlüssel. Die untere Glastür stand offen. Über ihren Spezialslalom um sämtliche knarzenden Stellen herum stiegen sie die Treppe hinauf, bis zur oberen Glastür. Hier blieben sie stehen und lauschten in die Dunkelheit des Ostkorridors, wo die Zimmer der großen Mädchen lagen. Nichts. Oder doch etwas? Ein Geräusch. Fern. Es kam näher. Draußen, ein Motorgeräusch.
„Fräulein Böcklmeier, wetten?“ flüsterte Stephan.
„Sie war in Neustadt im Konzert“, antwortete Ottokar, als sei das erwiesen.
Stephan nickte. „Und hat im Guten Tropfen noch einen Wein getrunken!“
Die Weinstube von Dampfwalzes Mutter war bei den Lehrern beider Schulen gleichermaßen beliebt.
Ohne Eile gingen die beiden Ritter den Korridor entlang. Fräulein Böcklmeier würde hier nicht vorbeikommen. Zielstrebig steuerte Stephan auf einen bestimmten Schrank zu und leuchtete mit der Taschenlampe hinein. Sein Akkordeon stand nicht drin. Das schwere Ding war vermutlich irgendwo auf der Burg versteckt. Er schloss die Tür, zog mit einer Hand den Koffer vor, der auf dem Kasten lag, hob ihn herunter, öffnete unhörbar die Schnappschlösser, nahm das Instrument heraus und hängte es sich wie einen Rucksack auf den Buckel, während Ottokar den Koffer wieder an seinen Platz zurückbeförderte. In diesem Augenblick wurde das Licht eingeschaltet. Von der Treppe her hörten sie Schritte und leise Stimmen. In dieser Lage erschien für die beiden Ritter selbst der kürzeste ihrer Kurzdialoge unangebracht. Dennoch sahen sie keinen Grund, darauf zu verzichten.
„Wetten?“ fragte Ottokar, und Stephan nickte. „Sonja!“
Schritte und Stimmen kamen näher. Seelenruhig nahm Stephan
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