Der Zauberer von Stonehenge
sind wir.«
»Und du, Suko?«
»Ich bin es auch.«
»Es ist natürlich nicht so leicht, aber wir werden einen Weg finden. Gerade heute ist es günstig.«
»Wieso?«
Er schaute mich aus seinen großen, braunen Augen an. »Bruder John«, sagte er leise. »Kennst du denn nicht das Zeichen, dieses außergewöhnliche Datum?«
»Nein, wieso?«
»Es ist die Zeit der Wintersonnenwende. Um Mitternacht schreiben wir den 21. Dezember, dieses ungewöhnliche Datum. So wird das erste Licht der spät aufgehenden Sonne über die lange, aus alter Zeit fallende Straße fallen und genau den Mittelpunkt, den Altarstein, treffen. Er wird Kraft bekommen, und wir werden diese Kraft in uns aufnehmen, weil er genau dort auf uns wartet.«
»Ist es der Zauberer?« fragte ich.
»Ja!« Octavios Augen leuchteten plötzlich auf. »Es ist der Zauberer von Stonehenge!«
Ich zwinkerte Suko zu, und er grinste zurück. Da waren wir genau richtig gekommen.
»Ihr kennt ihn, nicht?«
»Ja«, sagte ich, »wir haben von ihm gehört. Es ist wirklich gewaltig. Er besitzt die Kraft der Jahrhunderte.«
»Und die der Steine!« flüsterte unser Meister. »Aber das werdet ihr noch sehen. Ich werde ihn bitten, euch persönlich in den Kreis aufzunehmen. Doch jetzt kommt mit. Wir haben noch viel zu tun. Es ist heute ein Glückstag für mich.«
Vielleicht auch für uns. Jedenfalls ließ er unsere Hände los, drehte sich um und ging vor.
Wir sahen auch die Zwiliinge, die uns fröhlich zuwinkten, wie andere Menschen ebenfalls. Die Kraft aus dem Kosmos schien uns wirklich munter zu machen. Was tatsächlich dahintersteckte, das wußten allein die Götter — und der Zauberer.
Wir schritten am Feuer vorbei, in das ein Pulver geschleudert wurde. In den Flammen sprühte es auf, dann bekamen sie einen lindgrünen Schein, der über die Gesichter der Tanzenden strich und sie fahl aussehen ließ. Auch der Meister wohnte in einem Zelt. Es stand nicht weit vom Feuerkreis entfernt, allerdings mit der Öffnung zu den Steinen hin, so daß er sie stets sehen konnte.
Wir durften eintreten.
Im Innern des Zeltes roch es nach Gewürzen und Kräutern, die in breiten Schalen verglühten. Zwischen ihnen saß auf mehreren Decken ein junges Mädchen. Sie war in Trance und wirkte wie eine Figur.
»Das ist meine Tochter Sara«, erklärte uns Octavio. »Sie lebt nur noch für den Kosmos.«
»Ist sie denn sonst normal?«
»Wie meinst du das?«
»Ich meine, ob sie mal die Trance verläßt und sich so gibt wie die anderen.«
»Nein!« wisperte er und beugte sich weiter vor, um nicht lauter sprechen zu müssen. »Sie ist dem Zauberer versprochen. Da muß sie etwas Besonderes sein.«
Ich nickte. »Selbstverständlich, Entschuldigung, wir vergaßen.«
Sara konnte nicht älter sein als die Zwillinge. Nur war ihr Haar schwarz und auch sehr kurz geschnitten. Über der Stirn standen einige Strähnen wie dunkle Streichhölzer. Ihr Gesicht besaß etwas Puppenhaftes. Der Mund war klein, kirschrot und zeigte eine Herzform. Sie trug ein blaues Gewand, dessen Stoff schimmerte.
»Kommt, ich reiche euch die Kleidung. Ihr müßt die Kutten tragen. Sie sind mit dem Wasser des Baches gereinigt worden.«
»Der hier durch den Wald fließt?« fragte Suko.
Octavio nickte sehr ernst. »Ja, meine Brüder, der hier durch den Wald fließt und irgendwo bei den Steinen endet. Er versickert unter ihnen, doch sein Wasser verdunstet, die Sonne holte es aus der Erde hervor, und der Regen füllt es wieder in den Bach. So ist er Kreislauf gegeben. Alles befindet sich in Bewegung, meine Freunde — alles. Das wißt ihr, das weiß ich genau.«
»Ja, wir lieben diese Kreisläufe«, sagte ich und kam mir bei der Antwort eigentlich dumm vor, aber Octavio merkte nichts davon.
Statt dessen holte er die Kutten hervor. »Streift sie bitte über. Ich warte draußen vor dem Zelt auf euch.«
Er ging tatsächlich und ließ uns mit seiner Tochter allein zurück. Suko schüttelte den Kopf. »Allmählich denke ich auch nur noch von einer Kutte zur anderen. Kommst du mit dem klar?«
»Nee.«
Suko stieg schon in die Kutte und verzog das Gesicht. »Ist ziemlich eng. Ich kann mich kaum darin bewegen.« Ich hob die Schultern.
»Du kannst sie ja später ablegen.« Ich zog den Reißverschluß hoch.
»Bitte, redet nicht so despektierlich [2] «, hörten wir eine leise Mädchenstimme.
Sara, die Tochter des Meisters, hatte gesprochen. Sie war aus ihrer Trance erwacht, schaute uns aber nicht an, sondern blickte ins Leere
Weitere Kostenlose Bücher