Der Zauberer von Stonehenge
Gedanken erfassen kann. Willst du sie uns nicht mitteilen, die wir so ungeduldig daraufwarten, mein Freund?«
Nach diesen Worten drückte der Bärtige die Hände noch weiter nieder und legte sie auf die Stirn des Obdachlosen.
War es Humbug, alles nur Scharlatanerie?
Ich wußte es nicht. Mir war nur klar, daß ich allzu lange nicht mehr warten würde.
Dann passierte es.
Zuerst zuckten die Augenlider. Wenig später schon bewegten sich die Lippen, so daß ich ebenfalls von diesem unheimlichen und kaum glaublichen Vorgang fasziniert wurde.
Ich beugte mich ebenfalls vor, um besser sehen zu können. Der Meister ließ seine Hände auf Phil Grovers Kopf, und auch die Scherbe steckte noch in seinem Hals. Nur war sie jetzt dabei, sich zu verändern. Sie behielt ihre Form, aber sie nahm eine andere Farbe an. Ein tiefes Rot stieg in sie hinein, als wäre ein Maler dabei, seinen Pinsel mit Farbe zu schwingen.
»Es ist soweit«, hauchte der große Meister. »Es ist wirklich soweit.« Er lachte plötzlich. Ich hatte ihn noch nie lachen hören. Es war ein hohes, schrilles Gelächter, das eher dem einer Frau ähnelte als dem eines Mannes. »Ich spüre den Kontakt. Ja, er lebt. Er wird leben, er muß leben, und er wird uns die Botschaft des Zauberers überbringen.«
Das geschah in den nächsten Sekunden. Noch immer bewegten sich seine Lippen. Diesmal aber begann er zu sprechen, und ich horchte plötzlich auf. Dieser Mann, der so aussah wie Phil Grover und es auch war, redete mit einer fremden Stimme.
Jedoch mit einer, die ich kannte.
Sie gehörte Gallico! Sein Tonfall war haargenau herauszuhören. Ich hatte ihn noch gut in Erinnerung, nur klang Phils Stimme abgehackter, als hätte er Mühe, die richtigen Worte zu finden.
»Ich… ich sehe, ich reise«, sagte er. »Der Kosmos öffnet sich weit, sehr weil. Ich habe eine Botschaft.«
Octavio beugte sich noch weiter vor. »Du hast eine Botschaft?« fragte er leise.
»Ja, ich habe sie.«
»Und welche?«
»Der Zauberer will euch sehen. Ihr seid seine Kinder. Ihr habt ihm zu gehorchen. Ihr werdet in der Nacht seine Macht kennenlernen, denn er ist zurückgekehrt.«
»Ja, ja!« Octavio war völlig aus dem Häuschen. »Bitte, rede weiter. Wer ist es? Du mußt ihn doch kennen, mein Freund. Wer ist der Zauberer? Auf wen sollen wir uns freuen?«
»Auf mich!«
Jetzt zuckte der Meister zurück. Ich konnte sein Gesicht sehen und erkannte auch die Anspannung darin. »Das mußt du uns erklären. Wie sollten wir uns auf dich freuen?«
»Ich bin es, der zu euch kommen wird. Ich habe auch einen Namen. Ja, der Zauberer hat ihn angenommen.«
»Sag ihn uns!«
»Ich heiße Gallico!«
Das war der Hammer. Ich ließ mir meine Überraschung nicht anmerken und schluckte sie herunter. Gallico also!
Das ließ nur einen Schluß zu: Gallico und der Zauberer von Stonehenge mußten ein und dieselbe Person sein und durch die in Grovers Hals steckende Scherbe Verbindung mit dieser Welt haben. Der Meister beugte sich tiefer zu seinem Schützling herab. »Bitte«, hauchte er, »bitte, sprich weiter. Berichte uns mehr von deiner herrlichen Welt, in die auch wir hineinsehen wollen.«
»Ihr seid meine Armee«, vernahm ich wieder Galileos Hüsterstimme.
»Fine Armee wie euch habe ich mir gewünscht. Ihr werdet für mich kämpfen. Ihr werdet meinen Namen verteidigen und Feinde vernichten, die mich vernichten wollen.«
»Das verspreche ich«, sagte Octavio. Er nickte zweimal heftig dazu.
»Ein Feind aber ist unter euch! Er befindet sich sogar in eurer unmittelbaren Nähe. Ich kann ihn sehr genau spüren. Er besitzt eine Fluidum, das mir nicht gefällt.«
Obwohl noch kein Name erwähnt wurde, wußte Octavio Bescheid. Er drehte mir sein Gesicht zu.
Ich blieb gelassen und wartete die nächsten Worte ab, auch wenn sie für mich das Todesurteil bedeuteten.
»Sinclair«, sagte Phil Grover mit Gallicos Stimme. »Er ist der Feind. Ihn müßt ihr töten! Habt ihr verstanden? Ihr müßt es!«
»Ja, großer Zauberer, ja! Wir werden deinem Wunsch nachkommen. Sinclair muß sterben.«
Das wollte ich nicht. Doch wie ich Octavio kannte, würde er alles daransetzen, um den Wunsch des Zauberers zu erfüllen. Hatte ich die Stonehenge People nicht nur lächelnd erlebt und auch ihren Meister?
Das schien sehr weit zurückzuliegen, denn jetzt lächelte er nicht mehr. Im Gegenteil, sein Gesicht war zu einer scharfen Grimasse verzogen, und in den Augen las ich tödlichen Ernst. »Hast du es gehört, Bruder?« fragte er
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