Der Zauberhut
Etwas ragte mindestens sechs Meter weit empor und sah aus wie ein totes Pferd, das man nach drei Monaten ausgegraben hatte, um einige Experimente damit durchzuführen. Mehrere geringfügige Einzelheiten deuteten auf Kreuzungsversuche mit Tintenfischen hin.
Das Ungeheuer bemerkte Rincewind nicht. Es war viel zu sehr auf das Licht konzentriert.
Der Zauberer kroch zu dem reglosen Knaben und stieß ihn vorsichtig an.
»Lebst du?« fragte er. »Wenn nicht, verzichte bitte auf eine Antwort.« Münze rollte sich auf die Seite und sah verwirrt zu ihm auf. Nach einigen langen Sekunden sagte er: »Ich erinnere mich…«
»Davon rate ich dir ab.«
Die eine Hand des Jungen tastete durch den Sand.
»Der Stab existiert nicht mehr«, sagte Rincewind, woraufhin die schmalen Finger ihre Suche aufgaben.
Rincewind half dem Jungen auf. Münze starrte über den silbrigen Strand, blickte zum Himmel hoch, beobachtete die Dinge und sah dann wieder den Zauberer an.
»Ich weiß nicht, wie ich mich verhalten soll«, murmelte er.
»Mach dir nichts draus. Mein ganzes Leben lang ist es mir ähnlich ergangen.« Rincewind lächelte aufmunternd. »Ich bin fast immer ratlos gewesen.« Er zögerte. »Manche Leute behaupten, das sei menschlich oder so.«
»Aber ich mußte noch nie überlegen, was für Entscheidungen ich treffen soll!«
Rincewind wollte den Knaben darauf hinweisen, daß er ihn durchaus verstehen konnte, überlegte es sich aber anders und antwortete statt dessen: »Kopf hoch! Sieh die Sache einmal von der angenehmen Seite. Immerhin hätte es schlimmer kommen können.«
Münze blickte sich um.
»In welcher Beziehung?« fragte er, und seine Stimme klang dabei ein wenig normaler.
»Nun, äh…«
»Wo sind wir hier?«
»In einer Art anderen Dimension. Die Magie durchbrach die Mauer der Realität und nahm uns mit.«
»Und die Dinge dort?«
Dinge?
»Ich glaube, es handelt sich um Dinge«, sagte Rincewind. »Sie versuchen, durch das Loch zu klettern und unsere Welt zu erreichen. Was natürlich alles andere als leicht ist. Es liegt an den unterschiedlichen Energieniveaus. Ich erinnere mich daran, daß in der Universität einmal eine Vorlesung darüber stattfand. Äh.«
Münze nickte, hob eine blasse Hand und tastete damit nach Rincewinds Stirn.
»Hast du was dagegen…?« begann er.
Rincewind schauderte, als ihn der Junge berührte. »Wogegen?« fragte er.
»… wenn ich in deinem Kopf nachsehe?«
»Argh.«
Hier herrscht ein ziemliches Durcheinander. Kein Wunder, daß du immerzu ratlos bist.
»Ergh.«
Du solltest mal gründlich Ordnung schaffen.
»Orgh.«
»Aha.«
Rincewind spürte, wie die fremde Präsenz aus seinem Bewußtsein wich. Münze runzelte die Stirn.
»Wir können nicht zulassen, daß die Dinge in unsere Welt gelangen«, sagte er. »Sie verfügen über gräßliche Kräfte. Derzeit versuchen sie, das Loch mit ihrem Willen zu erweitern, und dazu wären sie tatsächlich imstande. Sie warten schon lange darauf, die Kerkerdimensionen zu verlassen, seit…« – er suchte nach dem richtigen Wort –, »… seit Äpocken?«
»Epochen«, verbesserte Rincewind.
Der Knabe öffnete die andere Hand, die bisher eine kleine Faust gebildet hatte. Darin schimmerte eine graue Perle.
»Weißt du, was das ist?«
»Nein«, antwortete Rincewind. »Was?«
»Ich… erinnere mich nicht. Aber ich glaube, wir sollten diesen Gegenstand zurückbringen.«
»In Ordnung. Setz einfach deine kreative Magie ein. Verscheuch die Dinge, damit wir nach Hause gehen können.«
»Nein. Dadurch würden sie nur noch mächtiger und grauenhafter. Sie nähren sich von Magie.«
»Bist du ganz sicher?« fragte Rincewind.
»Leider ja. In diesem Punkt gab dein Gedächtnis klar und deutlich Auskunft.«
»Na schön. Was sollen wir jetzt machen?«
»Ich weiß es nicht!«
Rincewind überlegte, seufzte, zog den Stiefel aus und streifte sich energisch die zweite Socke vom Fuß. »Halbe Ziegelsteine gibt’s hier nicht«, murmelte er vor sich hin. »Ich muß mich mit Sand begnügen.«
»Willst du die Wesen mit einer sandbeschwerten Socke angreifen?«
»Nein. Ich bin fest entschlossen, vor ihnen wegzulaufen. Die mit Sand gefüllte Socke gelangt nur dann zum Einsatz, wenn mir die Dinge folgen.«
D ie Bürger der Stadt kehrten nach Al Khali zurück und beobachteten argwöhnisch die rußgeschwärzten Überreste des Turms. Einige besonders beherzte Seelen wagten sich ganz nahe an die Trümmer heran. Sie vermuteten, daß unter ihnen Überlebende lagen, die
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