Der Zauberhut
nötig?« Der Riese musterte ihn mit frostiger Verwirrung. Langsam wandte er sich um und beobachtete den Rest der Herde, die bis zur Scheibenweltmitte reichte. Schließlich richtete er seinen Blick wieder auf Nijel.
»Ja, ich glaube schon«, erwiderte er. »Mwarum mwären mwir sonst untermwegs?«
»Allerdings gibt es viele Leute, die anderer Meinung sind. Sie äh… Weißt du, sie frieren nicht gern. Und ich kenne kaum jemanden, der sich mit einigen hunderttausend Tonnen Eis zudecken möchte.« Ein großer Felsen ragte vor dem Gletscher auf und protestierte mit einem dumpfen Knirschen, bevor er verschwand.
Nijel suchte verzweifelt nach den richtigen Worten. »Was ist mit den Kindern und kleinen kuscheligen Tieren?«
»Sie müssen sich dem Fortschritt opfern«, grollte der Riese. »Für uns ist die Zeit gekommen, neuerlichen Anspruch auf die Mwelt zu erheben. Auf eine Mwelt aus Eis. So verlangt es die Geschichte. Und so mwill es auch die Thermodynamik.«
»Trotzdem«, sagte Nijel. »Ihr seid nicht dazu verpflichtet, über die Scheibenwelt zu herrschen.«
»Mwir möchten es aber«, sagte der Riese. »Die Götter sind fort, und deshalb streifen wir die Fesseln eines überholten Aberglaubens ab.«
»Es erscheint mir nicht besonders fortschrittlich, die ganze Scheibenwelt im Eis erstarren zu lassen.«
»Uns gefällt so etmwas.«
»Ja, ja, mag sein«, erwiderte Nijel. Er sprach in dem erzwungen geduldigen Tonfall eines Mannes, der versucht, alle Aspekte eines Problems zu berücksichtigen. Offenbar glaubte er, mit gutem Willen und einer vernünftigen Diskussion ließen sich Schwierigkeiten schnell aus der Welt schaffen. Er irrte sich.
»Aber habt ihr wirklich den richtigen Zeitpunkt gewählt?« fuhr Nijel fort. »Ich meine, ist die Welt auf den Triumph des Eises vorbereitet?«
»Mwenn nicht, sollte sie sich besser sputen«, antwortete der Riese und schwang die Gletscherstange. Sie verfehlte das Pferd, traf Nijel jedoch an der Brust und schleuderte ihn aus dem Sattel. Der junge Mann prallte auf kaltes Eis, rutschte über eine Kante und versuchte vergeblich, sich irgendwo festzuhalten. Das aufgeschüttete Geröll trug ihn einige Dutzend Meter weit, und schließlich blieb er im Schneematsch zwischen zwei hohen, rasch dahingleitenden Wänden liegen.
Nijel seufzte, stand auf und starrte niedergeschlagen in den frostigen Dunst. Ein Gletscher hielt direkt auf ihn zu.
Conina flog heran. Sie beugte sich vor, als ihr Pferd durch den Nebel glitt, packte Nijel am ledernen Barbarenkragen und riß ihn hoch.
Das Roß flog weiter, ließ die Eismasse hinter und unter sich zurück.
»Was für ein kaltblütiger Mistkerl!« schnaufte der angehende Held. »Ich habe gehofft, ihn zur Vernunft zu bringen. Aber mit einigen Leuten kann man wirklich nicht reden.«
Die Herde erreichte einen weiteren Hügel und ebnete ihn ein. Vor ihr erstreckte sich nun die Sto-Ebene mit vielen schutzlosen Städten.
R incewind näherte sich vorsichtig dem nächsten Ding, die eine Hand um den Unterarm des Knaben geschlossen, in der anderen eine mit Sand gefüllte Socke.
»Also keine Magie?« fragte er.
»Nein«, bestätigte Münze.
»Ganz gleich, was auch geschieht – du mußt auf den Einsatz von Magie verzichten?«
»Genau. Zumindest hier. An diesem Ort ist die Macht der Dinge beschränkt, solange man darauf verzichtet, okkulte Energie freizusetzen. Aber wenn sie die andere Welt erreichen…«
Er sprach nicht weiter.
Rincewind nickte. »Schrecklich.«
»Entsetzlich«, sagte Münze.
Der Zauberer seufzte und bedauerte zutiefst, daß er seinen Hut verloren hatte. Er mußte irgendwie ohne ihn zurechtkommen.
»Na schön«, brummte er. »Wenn ich dir das Zeichen gebe, läufst du zum Licht. Hast du verstanden? Bleib nicht stehen. Und sieh dich nicht um. Klar? Für dich spielt es keine Rolle, was hier passiert.«
»Überhaupt keine?« fragte der Knabe unsicher.
»Nicht die geringste.« Rincewind rang sich ein Lächeln ab. »Ich rate dir insbesondere ab, auf irgendwelche Geräusche zu achten.«
Es bereitete ihm eine gewisse Genugtuung, als er sah, wie die Lippen des Jungen ein erschrockenes ›O‹ formten.
»Und wenn du die andere Seite erreichst…« fuhr er fort.
»Was mache ich dann?«
Rincewind zögerte. »Keine Ahnung«, sagte er. »Irgend etwas. Setz soviel Magie ein, wie du möchtest. Verwende die stärksten Zauberformeln, die du kennst. Du kannst ganz nach Belieben handeln. Es kommt nur darauf an, die Wesenheiten aufzuhalten. Und…
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