Der Zauberhut
du ihn gefoltert?« fragte Rincewind.
»Nein.«
»Das war nicht sehr barbarisch, oder?«
»Nun, ich muß noch Erfahrung sammeln«, erwiderte Nijel. »Immerhin habe ich darauf verzichtet, mich zu bedanken.«
Dreißig Sekunden später schoben sie einen breiten Perlenschnurvorhang beiseite und betraten den Harem des Serif von Al Khali.
Farbenprächtige Singvögel zwitscherten in goldenen Käfigen. Aromatisches Wasser plätscherte in Springbrunnen aus erlesenem Onyx. Hier und dort wuchsen Orchideen, und bunt schimmernde Kolibris sausten darüber hinweg. Zwanzig junge Frauen – ihre Kleidung hätte gerade für die Hälfte ausgereicht – drängten sich zusammen und sahen furchtsam auf.
Rincewind bemerkte sie gar nicht. Das heißt, er bemerkte sie schon – mehrere Dutzend Quadratmeter Hüften und Oberschenkel (ihre Tönungen reichten von marmornem Weiß bis hin zu Mitternachtschwarz) ließen sich nur schwer übersehen. Ein solcher Anblick führte dazu, daß sich Rincewinds Libido erfreut die Hände rieb und gewissen Drüsen Dampf machte. Aber leider fand die erotische Energie kein Ventil, denn Panik verließ den Zuschauerraum, eilte ins mentale Fitneßcenter, schwang sich dort auf ein Rad und trat in die Adrenalinpedale. Der Überlebensinstinkt leistete ihr Gesellschaft.
Der Leser ahnt es bereits: Rincewind starrte in die wütenden Mienen von vier Wächtern, deren Bewaffnung aus langen Krummsäbeln bestand.
Sofort trat der Zauberer einen Schritt zurück.
»Jetzt bist du dran«, sagte er.
»Ja!«
Nijel zog ein Schwert und streckte es so weit von sich, daß seine Muskeln vor Anstrengung zitterten.
Einige Sekunden lang herrschte völlige Stille, und alle warteten gespannt darauf, was nun geschehen mochte. Dann stieß Nijel einen Kampfschrei aus, den Rincewind niemals vergessen würde. Er lautete: »Äh, entschuldigt bitte…«
» E igentlich ist es eine Schande«, sagte ein kleiner Zauberer.
Die anderen antworteten nicht. Es war eine Schande, und sie alle vernahmen die vorwurfsvolle, anklagende Stimme des Gewissens. Doch die seltsame Alchimie der Seele schuf einen Ausgleich für prickelnde Schuld und verdrängte Beklemmung mit kühner Arroganz.
»Sei endlich still«, brummte ein anderer Magier, der bei dieser besonderen Gelegenheit in die Rolle des Anführers schlüpfte. Er hieß Benado Benimmdich, aber irgend etwas in der allgemeinen Atmosphäre dieses Abends deutet darauf hin, daß sein Name keine Rolle spielt. Dunkelheit kriecht durch die Gänge und Korridore, und in ihr tummeln sich gespenstische Schatten.
Die Unsichtbare Universität steht nicht etwa leer. Es halten sich nur keine Menschen darin auf.
Sechs Zauberer haben den Auftrag bekommen, die Bücher in der Bibliothek zu verbrennen. Sie fürchten sich natürlich nicht vor Geistern, denn sie sind so sehr mit magischer Energie aufgeladen, daß sie bei jedem Schritt leise summen. Ihre Umhänge sind prächtiger als alle Mäntel, die jemals von Erzkanzlern getragen wurden, die spitzen Hüte so spitz, daß man jemanden damit erstechen kann. Natürlich ist es reiner Zufall, daß sie dicht beisammen stehen.
»Ziemlich dunkel hier«, sagte der kleinste Zauberer.
»Es ist Mitternacht«, erwiderte Benimmdich scharf. »Und wenn hier irgendwelche Gefahren drohen, so gehen sie von uns aus. Stimmt’s, Jungs?«
Leises, unsicheres Murmeln bestätigte seine Worte. Die übrigen Magier begegneten Benado Benimmdich mit großem Respekt, denn er stand in dem beneidenswerten Ruf, sich mit positivem Denken auszukennen.
»Wir fürchten uns doch nicht vor ein paar alten Büchern, oder?« Er starrte auf den kleinsten Zauberer herab. »Du hast doch keine Angst, nicht wahr?« fügte er streng hinzu.
»Ich? Oh. Nein, natürlich nicht«, erwiderte der Thaumaturge hastig. »Bücher bestehen doch nur aus Papier. Das hat auch er gesagt.«
»Na bitte.«
»Allerdings sind es rund neunzigtausend«, warf ein anderer Zauberer ein.
»Ich habe oft gehört, es seien so viele, daß man sie überhaupt nicht zählen kann«, meldete sich ein dritter zu Wort. »Angeblich liegt es an den Dimensionen. Ja. Es heißt, in der Bibliothek sieht man nur die Spitze des… des… Nun, die Spitze irgendeines Dings, das sich zum größten Teil unter Wasser befindet.«
»Meinst du ein Nilpferd?«
»Ein Krokodil?«
»Den Ozean?«
»Jetzt reicht’s mir!« rief Benimmdich – und zögerte. Die Finsternis schien den Klang seiner Stimme zu verschlingen und höhnisch zu grinsen.
Er räusperte sich
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