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Der Zauberspiegel

Der Zauberspiegel

Titel: Der Zauberspiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Carver
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Königsburg, als sie ihr Nachtlager in einem Wäldchen aufschlugen.
    Aran verspürte den ganzen Tag schon ein eigenartiges Ziehen in sich. Nun erfüllten ihn bleierne Müdigkeit und heftige Kopfschmerzen. Er ließ sich auf den Boden sinken, lehnte sich an einen Baum und eine seltsame Benommenheit stieg in ihm hoch.
    Vor seinen Augen verschwamm alles, Blitze zuckten vor seinem Sichtfeld. Im selben Moment zerschnitt etwas die silberne Schnur, die sich zwischen ihm und Juliane spannte. Aran versuchte, sich den anderen bemerkbar zu machen, doch seine Muskeln verweigerten ihm den Dienst. Etwas Fremdes nistete sich in ihm ein. Es katapultierte ihn aus seinem Körper hinaus in die Schwärze des Nichts.
     
    *
     
    Juliane nahm den Verlust der übernatürlichen Verbindung zwischen sich und Aran wahr. Doch sie befiel die Unfähigkeit, sich zu bewegen oder zu sprechen. Panik kroch in ihr hoch. Sie fixierte Aran, der wie erstarrt auf dem Boden hockte. Es schien kein Leben mehr in seinem Körper zu sein. Wenn sich sein Brustkorb nicht gleichmäßig gehoben und gesenkt hätte, hätte sie ihn für tot gehalten.
    Arans Lippen bewegten sich und aus seinem Mund drang eine fremde, seltsam hohle Stimme. Nicht seine Stimme.
    »Verrat«, rief Aran. »Der Tod ist unter euch. Euer Tod!«
    Alle vernahmen die Warnung. Die Rebellen starrten Aran an, der nun zusammensackte wie eine Marionette, der man die Fäden zerschnitten hatte. Im selben Moment sauste die silberne Schnur aus dem Nichts heran und spannte sich erneut zwischen Juliane und Aran, als wäre nichts geschehen.
    Die Starre fiel von Juliane ab und sie lief zu Aran. Er richtete sich abrupt auf und blickte die anderen irritiert an.
    »Du hast uns vor Verrat gewarnt. Du sagtest, der Tod wäre unter uns«, flüsterte Juliane.
    Aran schüttelte benommen den Kopf. »Davon weiß ich nichts«, sagte er grob und verschwand zwischen den Bäumen.
    Juliane zögerte, unsicher, ob sie Arans Wunsch nach Einsamkeit nachgeben oder ihm hinterherlaufen sollte.
     
    *
     
    Tief im Wald hielt Aran inne und ließ sich auf den Boden sinken. Er rang die Unruhe, die sich ausgebreitet hatte, nieder, schloss die Augen und atmete gleichmäßig. Um ihn herum herrschte Stille. So tief im Unterholz war nicht einmal der Wind zu vernehmen, der durch die Wipfel der Bäume strich.
    Ein Rascheln drang an seine Ohren und er verspürte die körperlose Anwesenheit einer Person.
    »Aran«, hauchte eine weibliche Stimme.
    Der Klang, so warm und unendlich liebevoll, versetzte ihm einen Stich. Er schlug die Lider auf; er hatte die Stimme bereits unzählige Male in seinen Träumen und seinen Visionen gehört. Es war T’Chialla, seine geistige Führerin.
    Mit Erstaunen erkannte er, dass die Frau tatsächlich vor ihm stand. Auch wenn sie sich nur als Schemen darstellte. Durch ihren Körper konnte er die Bäume und das Gras erkennen.
    »Aran«, flüsterte T’Chialla sehnsüchtig und streckte ihre Hand nach ihm aus. Wie hypnotisiert erhob er sich und näherte sich ihr bis auf Armeslänge.
    »Warum bist du gekommen?«, fragte er. Die Vorahnung, dass seine Mentorin hier war, um Abschied zu nehmen, bemächtigte sich seiner.
    T’Chialla lächelte und musterte ihn. »Mein Junge«, wisperte sie und Aran erkannte die Trauer in ihren Augen. »Ich bin hier, weil ich mich verabschieden muss. Du brauchst mich nicht mehr. Das, was von Anbeginn für dich vorgesehen war, ist eingetreten.«
    Verwirrt starrte er T’Chialla an. »Das, was für mich vorgesehen ist?«, echote er verständnislos.
    T’Chialla nickte. »Juliane«, erklärte sie schlicht.
    »Deshalb verlässt du mich jetzt? Juliane wird mich ebenfalls verlassen!« Trauer peitschte durch seinen Körper. Ein kaltes, vertrautes Zucken.
    »Ein liebendes Herz ist niemals allein«, entgegnete T’Chialla. »Und du hast Freunde.«
    »Aber du bist nicht mehr da«, widersprach Aran. Er würde T’Chialla tatsächlich vermissen.
    »Ich werde immer da sein, in deinem Herzen, mein Junge«, sagte die Frau liebevoll. »Es ist Zeit. Lebe in Frieden, mein Sohn.«
    Die Umrisse T’Chiallas wurden verschwommener und durchsichtiger. Zuletzt hingen nur noch ihre lächelnden Lippen und Augen für einen Moment in der Luft.
    Arans Erstarrung löste sich und T’Chiallas letzte Worte hallten wieder und wieder durch seinen Kopf.
    »T’Chialla«, flüsterte er und Tränen stiegen in ihm auf. Sein Herz hatte es all die Jahre geahnt, doch sein Hass und Zorn und Rachedurst hatten ihn taub und blind gemacht.

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