Der Zauberspiegel
All die Zeit war sie zum Greifen nah gewesen, unterstützte und leitete ihn, obwohl es ihm zuwider war. Und er hatte nie geahnt, wer sie wirklich war.
»Mutter«, murmelte er und heiße Tränen rollten über seine Wangen. Erstaunt, schockiert, dass er dazu in der Lage war, wischte er die Spuren fort. Mehrmals rieb er sich heftig über die tränenfeuchten Wangen. »Du warst es und ich habe dich nicht erkannt!«
Aran tastete mit seinen morvannischen Sinnen nach seiner Mutter, doch er konnte sie nicht mehr erfassen.
Er würde ihr Andenken ehren, indem er an der Seite seiner neuen Freunde um Frieden kämpfen würde.
So lange es auch dauern mochte.
15. Kapitel – Die Khkirani
D ie Rebellen erreichten ein Wäldchen, nur ein paar Stunden Fußmarsch von der ehemaligen Königsburg entfernt.
Fast täglich stießen neue Anhänger zu ihnen. Die Gruppe, die aus den Bergen mit einer überschaubaren Zahl Mitstreiter aufbrach, hatte sich inzwischen verdoppelt. Kaum einer der Neuankömmlinge besaß andere Waffen als Heugabeln oder Stöcke. Einige wenige trugen Äxte und Beile, doch Juliane bezweifelte, ob sie sich damit in einem Kampf bewähren konnten. Sie zu sehen gab ihr das Gefühl, eine Metzgerin zu sein, die ihre Herde zum Schlachthof brachte.
Wie sollten sie gegen Kloobs Soldaten bestehen? Wie die Burgmauern erstürmen? Wenn der schöne Plan nicht wie gewünscht funktionierte? Wenn Juliane ehrlich war, glaubte sie nicht an ein glückliches Ende. Es käme zur Schlacht, so wie die Bauern glaubten. Und auch wenn sie genau danach gierten, so war Juliane sicher, dass es ihrer aller Ende sein würde.
Elyna trat zu ihr und lächelte. »Es wird Zeit.«
Juliane nickte und folgte ihr zu einem Zelt. Jemand hatte die Kiste mit dem Panzerkleid bereitgestellt und mit Kaliras Hilfe zog Juliane die Rüstung widerwillig an.
Als sie schließlich die Beinschienen verschnürt hatte, konnte sie sich ein Stöhnen nicht verkneifen. Nicht, dass die Rüstung schwer oder unhandlich gewesen wäre. Im Gegenteil, wer auch immer den Brustpanzer, Arm- und Beinschienen gefertigt hatte, hatte gewusst, was er tat. Das Metall der Schutzkleidung war leicht, seine Teile auf das Nötigste beschränkt. Das Panzerkleid passte ihr wie angegossen und das silbrige Metall stand ihr ausgezeichnet. Dennoch fühlte sie sich fremd darin. Außerdem hatte sie auf der Innenseite des Brustpanzers alte Blutspuren entdeckt, die sie nur zu genau an den Zweck der Rüstung erinnerten.
Kalira musterte sie stolz. »Sie sieht aus, als wäre sie eigens für dich gefertigt worden!« Jetzt erst schien Kalira ihren gequälten Gesichtsausdruck zu bemerken. »Was ist mit dir?«
Juliane schwieg einen Moment. »Ich habe Angst«, begann sie und fuhr sich über die Stirn. »Wie sollen wir Kloob besiegen? Das dort draußen sind hauptsächlich Bauern, die noch nie in ihrem Leben gekämpft haben und sieh mich an! Ich bin nur ein Mädchen, das aus Übermut nach Goryydon gekommen ist. Ich habe doch nicht geahnt, was mich erwarten und was ich in Gang setzen würde. Ich bin eine Schwindlerin. Wie kann ich eure Retterin werden?«
Kalira umarmte sie. »Du bist unglaublich mutig! Ich weiß nicht, wie ich an deiner Stelle reagiert hätte«, meinte sie und schob sie ein Stück von sich. »Die Götter haben dich auserwählt. Dir wird gelingen, wozu sie dich ausersehen haben. Du beendest Kloobs Herrschaft, so wie es geweissagt wurde. Du bist ein Teil von Goryydon, dein Herz und unsere schlagen im gleichen Takt. Jeder von uns gäbe mit Freude sein Leben für den Sieg über Kloob und seine Todesreiter.« Kalira ergriff ihre Hände. Im Gegensatz zu ihren waren Kaliras Finger warm, trocken und ruhig. »Ich habe auch Angst.«
Moira betrat den Raum. »Juliane? Würdest du den Leuten ein paar Worte sagen?«
Sie nickte und warf Kalira einen vielsagenden Blick zu. Ihr Magen krampfte sich kurz zusammen. Sie hasste es, vor so vielen Menschen sprechen zu müssen. Schulreferate waren schon der Horror, aber dort draußen warteten gut und gern mehr als hundert Leute. Und sie wusste nicht, was sie ihnen sagen sollte. Oder womit sie sie motivieren konnte.
Langsam trat Juliane vor die versammelten Rebellen. Sie zwang ihre Nervosität nieder und versuchte, die rechten Worte zu finden.
»Ihr wisst alle, wer ich bin«, begann sie zögernd. Sie holte Luft. »Als ich hierher kam, war ich allein und wusste nicht, wohin ich mich wenden konnte. Dann begegnete ich Ranon und Elyna und Kalira und ihren
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