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Der Zauberspiegel

Der Zauberspiegel

Titel: Der Zauberspiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Carver
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Juliane war sich nicht sicher, ob sie tatsächlich etwas gesehen oder sich die Szene nur eingebildet hatte.
    »Oder das Unbekannte. Entscheide dich.«
    »Warum soll ich mich entscheiden?«, fragte Juliane. »Was erwartet mich dort?« Sie deutete auf das Dunkel.
    »Wir bedürfen deiner. Mehr, als du dir vorstellen kannst.«
    Juliane erstarrte. Hinter ihrer Stirn arbeitete es. Sie wurde gebraucht. Nichts anderes hatte sie sich je gewünscht. Sie wollte niemand sein, der gleichgültig durch die Welt lief und genauso von ihr behandelt wurde. Erfüllte sich ihr größter Wunsch?
    »Wer braucht mich?«
    »Deine Wahl muss aus freiem Willen geschehen, ich darf dir nicht mehr sagen«, erklärte die helle Stimme. »Willst du es wagen?«
    Sie näherte sich dem Unbekannten, hielt aber noch einmal inne. »Wer bist du?«
    »Ich kann vieles sein. Ein Spiegel, ein Tor, eine Chance, die Erfüllung deines Schicksals.«
    Juliane ahnte, dass sie nicht mehr erfahren würde, und betrat die Finsternis.
    Die Schwärze wirkte anders als alles, was Juliane jemals vorher gesehen hatte. Es fühlte sich an, als hätte die Dunkelheit die Macht, jede Erinnerung an Formen und Farben auszulöschen und durch die Gleichförmigkeit der Nacht zu ersetzen.
    Aber nicht nur Farben, auch die Erinnerungen an Gerüche und Geräusche wurden vollkommen bedeutungslos für sie. Eine Schwere bemächtigte sich ihrer Glieder, ähnlich dem Gefühl, im Halbschlaf gefangen zu sein und nicht fähig, die letzten Fetzen Schläfrigkeit abzustreifen.
    Juliane fühlte einen leichten Sog, der sich langsam verstärkte. Sie wich einige Schritte zurück, doch es war zu spät, der Wirbel erfasste sie und riss sie in die Dunkelheit. Der Strudel warf sie herum wie eine leblose Strohpuppe. Juliane versuchte, dagegen anzukämpfen, doch es war zwecklos. Sie wollte schreien, doch ihrer Kehle entwich nur ein leises Stöhnen. Immer schneller und schneller zog es sie in die Tiefe und schließlich verlor sie das Bewusstsein.

2. Kapitel – Das Zeichen der Sonne
     
     
     
    L angsam lichtete sich der Nebel um Juliane. Harzgeruch kitzelte ihre Nase und jeder Knochen in ihrem Körper schmerzte. Sie stöhnte und stand auf. Einen Moment zweifelte sie an ihrem Verstand, dann fiel ihr alles wieder ein. Der Zauberspiegel hatte sie hergebracht.
    »Wohin denn zum Kuckuck?«, fragte sie laut.
    Sie befand sich in einem Wald. Um sie herum standen riesige Laubbäume, die einen bunten Wechsel mit Nadelbäumen, Büschen und Farnen bildeten. Im Schatten gediehen einzelne Pilze und die Luft duftete nach Moos und Holz und schien so sauber, dass Juliane am liebsten nichts anderes getan hätte, als sie einzusaugen.
    »Hallo! Ist hier jemand?« Sie zuckte erschrocken zusammen, als es im Gebüsch raschelte. Ein Kaninchen huschte verschreckt davon und sie atmete erleichtert aus. Noch war sie sich nicht sicher, ob sie anderen Menschen begegnen wollte. Sie zog es vor, erst die Lage zu sondieren, erst einmal herauszufinden, ob sie nicht doch träumte.
    Eigentlich liebte sie Waldausflüge – solange sie auf einem Pferderücken saß und es gekennzeichnete Wanderwege gab. Doch hier stand sie mitten in der Wildnis und war völlig ahnungslos, was sie tun sollte.
    »Spiegel? Hörst du mich? Was soll ich tun?«
    Julianes Rufe verhallten, niemand antwortete ihr und sie verstummte.
    »Vielleicht hätte ich eine Gebrauchsanweisung verlangen sollen«, überlegte sie und sah sich weiter um.
    Nachdem sie eine Weile tatenlos herumgestanden hatte, entschied sie, loszulaufen. Sie stapfte durch den Wald und begann, die Wanderung schon nach kurzer Zeit zu hassen. Ständig blieb sie mit der Jacke an Zweigen hängen und zerkratzte sich das Leder. Ihre Wildlederstiefel erwiesen sich als völlige Pleite.
    Nicht nur, dass sie ein paar Mal im Matschboden versank oder über Wurzeln und Reisig stolperte, für ihre Füße waren die Schuhe die reinste Tortur. Dazu kamen Durst und Hunger, die sie bald quälten.
    Sie dachte mit Wehmut an die Schokoriegel, die sie in ihrem Rucksack aufbewahrte. Wie lang überlebte ein Mensch ohne Nahrung? Zwei Tage? Eine Woche? Juliane wurde übel bei dem Gedanken, elendig in dieser Wildnis zu verhungern und zu verdursten. Weder in den Filmen noch in den Büchern, die sie kannte, hatten die Helden mit derartigen Problemen zu kämpfen. Ihnen lief garantiert ein saftiges Stück Wild über den Weg und natürlich hatten sie stets eine Waffe bei sich.
    Juliane stutzte. Gab es hier Raubtiere? Ihre Zehen kribbelten.

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