Der Zauberspiegel
»Beeilt euch, versorgt Ranons Wunde, wir müssen weg.« Er klang wie der Tod selbst.
Juliane ging zu Ranons Satteltaschen, in denen er Linnen und Kräuter für Verbände aufbewahrte. Kalira erwachte aus ihrer Starre und riss Ranons Hemd auf. Gemeinsam mit Juliane verteilte sie blutstillende Kräuter um die Wunde und legte ihm einen festen Verband um den Bolzen herum an.
»Seid ihr so weit? Dann lasst uns verschwinden«, drängte Aran. »Was ist mit Torus?«, fragte Kalira, während Aran den verletzten Ranon mit Juliane auf sein Pferd hievte.
»Er ist tot.«
Arans kalte Antwort ließ Kalira erschaudern und sie schloss einen Moment die Augen. Nichts geschah so, wie sie es gehofft hatte. Sie öffnete die Lider. Aran hob die Leiche von Torus auf dessen Pferd.
Aran streckte den Rücken. »Wir müssen uns beeilen. Iorgen wird bald mit Verstärkung zurückkehren.«
Kalira nickte. Sie fühlte sich wie betäubt und konnte das Schluchzen nicht unterdrücken. Es bahnte sich einen Weg aus ihrem Inneren, egal, wie sehr sie versuchte, es zu unterdrücken.
*
Aran musterte den bewusstlosen Ranon stirnrunzelnd. Offenkundig gefiel es ihm nicht, den Verwundeten wie einen Sack Kartoffeln zu transportieren, doch ihnen fehlte die Zeit, um eine Trage zu bauen. Kalira wischte sich mit dem Ärmel über die Augen, aus denen unverdrossen Tränen hervorquollen.
Aran schwang sich auf sein Pferd und ergriff Torus’ und Ranons Tiere an den Zügeln. »Beruhigt euch«, brummte er Kalira und Juliane zu. Juliane schluchzte ungehemmt, und jedes Mal wenn sie auf Ranon oder Torus blickte, steigerte sich ihr Schniefen. Die Tatsache, dass Juliane sich ihrer Trauer nicht schämte, machte es Kalira leichter, die ihre zu zeigen. Ihr Herz wollte bersten. Ranon war bereit gewesen, für sie zu sterben. Falls er dies hier nicht überlebte, bekam sie keine Gelegenheit mehr, ihm zu sagen, wie sehr sie ihn liebte.
*
Aran legte Ranon vorsichtig ins hohe Gras. Juliane dankte ihm im Stillen für seine Umsicht. »Kümmert euch um ihn. Ich werde Torus begraben«, sagte er.
»Aran?«, fragte Kalira leise. »Vielen Dank.«
Aran nickte mit unbewegter Miene. »Kein Grund für Dank.« Aran wandte sich abrupt ab.
Kalira warf ihr einen kurzen Blick zu.
»Wir können ihm vertrauen«, meinte Juliane und deutete auf Aran.
Kalira beugte sich über Ranon. Juliane merkte, dass sie ihr nicht zugehört hatte, Angst um Ranon erdrückte sie. Juliane erhob sich und holte die Satteltaschen.
Kalira wischte sich mit ihrer besudelten Hand über die Stirn. Ein blutiger Streifen blieb zurück. Kalira legte vorsichtig ihren Finger an die Wunde und Juliane beobachtete sie dabei, wie ihr Finger am Holz entlangtastete. Kaliras bleiches Gesicht verriet, dass es das erste Mal sein musste, dass sie sich um eine derartige Wunde kümmerte. Sie blickte hoch.
»Du musst mir helfen«, bat Kalira. Sie suchte einige Kräuter aus der Satteltasche, legte sie bereit und schloss einen Moment lang die Augen. »Ich stoße den Bolzen vollends durch. Es wurde nur Fleisch getroffen. Du musst den Bolzen so schnell wie möglich packen, rausziehen und dann diese Kräuter auflegen.«
Juliane stöhnte und nickte.
Das Knacken, mit dem Kalira den Schaft abbrach, klang widerlich. Juliane hob Ranon an, lehnte seine unverletzte Seite an ihre Schulter und stemmte sich dagegen. Ranon gab keinen Laut von sich, als der Bolzen die Schulter durchstieß. Juliane fasste die glitschige Spitze und zog und zerrte daran. Als das breite Teil austrat, war es ein leichtes, den Rest zu entfernen. Blut tropfte aus dem Wundloch. Angewidert warf sie den Bolzen fort, nahm eine Handvoll der Heilpflanzen und presste sie darauf. Kalira legte zügig den Verband an. Juliane ließ Ranon auf den Boden sinken. Kalira kämpfte gegen Tränen an, ebenso wie sie.
Ranons Haut war bleich, der Atem war kaum wahrnehmbar und er lag reglos da, als käme er nie wieder zu Bewusstsein. Julianes Herz schmerzte mehr, als sie zugeben mochte.
»Warum hast du das getan, du törichter Narr? Hast du gedacht, das würde mich beeindrucken?« Abermals weinte Kalira. Julianes Kummer verstärkte sich.
Aran hatte mit sichtlicher Mühe bei einigen Büschen ein Grab ausgehoben, in das er Torus’ Leichnam legte. Juliane sah abermals zu ihm. Er trat die Erde fest und blickte hoch. Ihre Blicke begegneten sich und er wandte den Kopf ab.
Nach einer Weile gesellte Aran sich zu ihnen und musterte Ranon.
»Ich bin schuld.« Kalira stöhnte und
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