Der Zauberspiegel
klang gequält. »Das werde ich mir nie vergeben können.«
Juliane legte tröstend den Arm um ihre Freundin.
»Seid still«, zischte Aran plötzlich.
Irgendwo zwischen den Bäumen erklangen die Töne einer Flöte.
Kurz darauf trat die Musikantin auf die Lichtung. Es war ein kleines, dunkelhäutiges Mädchen mit schwarzen Locken. Über ihrem kurzen, knielangen Gewand trug sie ein weißes Fell.
Im ersten Moment wirkte die Kleine erschrocken und bereit zur Flucht, doch dann entdeckte sie den schwer verletzten Ranon und Aran. Langsam näherte sich das Kind. Sie deutete auf Ranon und wandte sich an Aran, ohne Kalira oder Juliane nur eines Blickes zu würdigen. Sie begann in einer kehligen, aber zugleich melodischen Sprache zu reden.
Aran nickte und antwortete zum Erstaunen Julianes in derselben Sprache. Schließlich richtete er seine Aufmerksamkeit auf Kalira und Juliane. »Sie bringt uns in ihr Dorf, dort wird man uns helfen.«
9. Kapitel – Das Morvannendorf
S taunend stand Juliane auf einer riesigen Lichtung.
Es musste das erste Mal seit Jahrhunderten sein, dass Weiße ein morvannisches Dorf betraten. In der Mitte des kreisförmigen Dorfplatzes befand sich ein großer Brunnen.
Vor einem der Holzhäuser saßen einige Männer und beschäftigten sich mit ihren Jagdgeräten. An einem kleinen Bach am Dorfrand wuschen schwarzhaarige Frauen ihre Wäsche, während die Kinder lachend und lärmend Fangen spielten.
Das kleine Mädchen bat mit einer Geste zu warten und lief davon. Juliane spürte die verstohlenen, neugierigen Blicke der Morvannen auf sich.
Nach kurzer Zeit kehrte das Kind mit einem alten Mann zurück.
»Seid gegrüßt, Fremde! Mein Name ist Zyriak.« Der Alte besaß eine dunkle, rauchige Stimme, die zu seinem faltigen, wettergegerbten Gesicht passte.
»Du sprichst unsere Sprache?«, brach es aus Kalira heraus.
Zyriak lächelte. »Manchmal kehren die Kinder unserer Ausgestoßenen zurück. Sie lehrten uns die Sprache des Leeren Landes. Yula sagte, ihr habt einen Verletzten bei euch.« Er klatschte in die Hände und rief: »Uyun, Karph, bringt den Verletzten zu Talna!«
Zwei Morvannen eilten herbei und trugen Ranon in eine der Hütten.
»Ich möchte mitgehen.« Kalira machte Anstalten hinterherzulaufen, doch Juliane und Aran hielten sie zurück.
»Lasst uns gemeinsam essen und trinken«, bat der alte Morvanne. »Für euren Freund wird gut gesorgt. Pfeilverletzungen kennen selbst wir.« Zyriak lächelte geheimnisvoll und führte sie in seine Hütte. Im Inneren war es dämmrig und kühl, vor den Fenstern hingen Grasmatten, um die Sonne fernzuhalten. Juliane blickte sich neugierig um. Auf einer Seite der Hütte standen Weidenkörbe, in denen verschiedene Lebensmittel lagerten. In einem kleinen Regal lagen teils fremdartige Gerätschaften. Auf einem Tisch in der Mitte des Raums hatte man Wein, Obst, Brot, Käse und gebratenes Fleisch angerichtet. Zyriak be deutete ihnen, sich an den Tisch zu setzen und zu essen.
Kalira rutschte unruhig auf ihrem Stuhl herum. Sie nippte nur ein wenig am Wein und naschte ein paar Bissen Käse, um Zyriak nicht zu beleidigen. Juliane wusste, dass sie es nicht erwarten konnte, zu Ranon zu gehen. Obwohl es Juliane nicht weniger dringlich erschien, konnte sie ihre Ungeduld bezähmen und schaufelte Essen in sich hinein, als stünde sie kurz vor dem Verhungern. Stand sie wohl auch, ohne es recht bemerkt zu haben.
Aran griff ebenfalls tüchtig zu. Als Zyriak einen Moment nach draußen verschwand, beugte er sich zu Kalira und nahm eine dicke Scheibe Fleisch von ihrem Teller. »Du beleidigst unsere Gastgeber, wenn du nicht reichlich isst.« Er stopfte sich die Scheibe Fleisch in den Mund, und noch ehe Zyriak zurückkehrte, hatte er es hinuntergeschluckt.
»Meine Talsha Cadao wird euch die Badehütten herrichten. Ihr seid bestimmt erschöpft von eurer Reise.« An Kalira gerichtet meinte er: »Dein Talshu ist bei unserer Heilerin in besten Händen, es gibt keinen Grund, auf die Annehmlichkeiten unseres Bades zu verzichten.«
Cadao führte sie zu den beiden Badehütten und betrat mit Juliane und Kalira die der Frauen. Das Häuschen bestand aus einem einzigen Raum.
In der Mitte standen vier Holzwannen. In zwei von ihnen dampfte heißes Wasser, auf dessen Oberfläche Blütenblätter schwammen, die einen süßen Duft verströmten. Unter der einzigen, hoch liegenden Fensteröffnung platzierte man eine Holzbank, auf der zwei Stofftücher und zwei Kleider
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