Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Zauberspiegel

Der Zauberspiegel

Titel: Der Zauberspiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Carver
Vom Netzwerk:
wild durch die Haare. »Bitte, bitte, heile ihn, Talna«, flüsterte sie. »Bitte, du musst ihn retten.«
    Talna stand auf und wischte sich die feuchten Hände an ihrem Kleid ab.
    »Ich weiß nicht, ob es gelingen wird. Er ist kein Morvanne.« Sie musterte Kalira forschend. »Bleibst du bei ihm? Dann kann ich mich für einen Heilzauber vorbereiten. Das könnte seine Rettung sein.«
    Kalira nickte und beobachtete Talna, wie sie aus ihrer Vorratskammer einige Gegenstände holte. Die Heilerin verließ die Hütte.
    Sie setzte sich zu Ranon ans Bett und ergriff seine klammen, kalten Hände. Sie hob sie an ihre Lippen und küsste sanft die Finger. Sie fühlte die Nähe des Todes und zitterte.
    »Ranon, hörst du mich?«, hauchte sie. »Ranon, wenn du mich jetzt verlässt, werde ich dir folgen. Ich werde dich aus dem Licht zerren und in das dunkle Reich des Finsteren Gottes jagen, solltest du es wagen, zu sterben.«
    Ein eiserner Ring schien ihre Brust zu umklammern. Sie schluchzte leise.
     
    *
     
    Als Juliane das Badehaus verließ, traf sie auf Aran.
    Er hatte ebenfalls gebadet und trug frische Kleidung. Er lächelte sie an. »Wo ist Kalira?«, fragte er.
    »Bei Ranon.« Juliane fühlte sich verwirrt, doch sie merkte sofort, dass sie und Aran beobachtet wurden und sie die Irritation ihrer Zuschauer wahrnahm.
    Ein paar Morvannenkinder starrten sie mit unverhohlener Neugier an. Ein kleiner Junge löste sich aus der Gruppe und kam auf sie zu. Mit heller Kinderstimme wandte er sich an Aran, worauf dieser mit amüsiertem Lächeln antwortete.
    »Was hat er gefragt?«, erkundigte sich Juliane.
    »Er wollte wissen, ob wir verheiratet sind. Ich habe ihm gesagt, dass du meine Schwester bist«, erzählte Aran. »Er hat mir nicht geglaubt.«
    Juliane zog die Augenbraue hoch. Der Effekt gefiel ihr so gut, dass sie beschloss, diese Geste öfter bei Aran anzuwenden. Er blinzelte und räusperte sich verlegen. »Warum hast du dem Kleinen nicht erzählt, dass wir Freunde sind?«
    »Nur, weil wir dieselben Feinde haben, heißt das nicht, dass wir auch Freunde sind«, sagte er.
    Juliane war verwirrt, bisher hatte sich jeder Mensch, den sie kennengelernt hatte, irgendwie einordnen lassen, doch Aran war völlig anders. Mal war er freundlich und gesprächig, dann wieder verschlossen und abweisend oder gar wütend und hasserfüllt. Seltsam, genau dasselbe hatte ihr Constanze, ihre ältere Schwester, einmal vorgeworfen.
    Juliane begegnete seinem düsteren Blick mit einem Lächeln. »Wir sind deine Freunde.« Mit Freundlichkeit und unverdrossen guter Laune auf Arans Wutausbrüche und Zurückweisungen zu reagieren, schien ihr die sinnvollste Methode im Umgang mit ihm zu sein.
    Ein Windstoß fegte über den Dorfplatz und zerrte an ihren Haaren. Ein weiteres Detail, das sie miteinander verband. »Erzähl mir etwas über die Morvannen«, bat sie nach einer Weile.
    »Wie kommst du darauf, dass ich mehr über sie weiß als ihr Weißen?«
    »Du sagst das so, als würdest du alle Weißen hassen«, stellte sie gelassen fest.
    »Hassen? Nein, ich hasse euch nicht; ich bemitleide euch, euch und die Morvannen.«
    »Warum?« Sie musterte Aran, der nun wieder alle Mauern um sein Ich errichtete, wo er eben noch etwas zugänglicher gewirkt hatte. Juliane seufzte.
    »Weil ihr mich wegen meiner Hautfarbe zum Außenseiter macht. Ich wurde nie akzeptiert. Kohlenjunge, Teufelskind, das sind noch die freundlichsten Beschimpfungen, die die Weißen für Morvannen und Gaukler übrig haben.«
    Im hintersten Winkel ihres Hirns speicherte sie Arans Aussage über die Gaukler ab, in der Vermutung, es könnte sich irgendwann als wichtig erweisen. »Ich weiß auch, wie es sich anfühlt, eine Außenseiterin zu sein«, sagte sie verstimmt. Im Stillen wunderte sie sich über ihren Zorn. »Glaubst du, du bist der einzige Mensch, der so etwas erlebt? In meiner … meiner Heimat bin ich auch ein Außenseiter, weil ich anders bin. Ich habe mein ganzes Leben versucht, so zu sein wie die anderen, und immer wieder bin ich auf Ablehnung gestoßen, sogar bei meinen Eltern. Erst als mich das Schicksal zu den Rebellen führte, erfuhr ich, wie es ist, Teil einer Gruppe zu sein. Ich begriff, wie es ist, Freunde zu haben, richtige Freunde, die zu dir halten, egal, was passiert. Verdammt, Aran, die Menschen, die dich verachten, weil du anders bist, sind Idioten. Sie sind nicht mal den Dreck, auf dem sie laufen, wert. Aber du, du musst dich entscheiden, wohin du gehörst!« Sie hatte die ganze

Weitere Kostenlose Bücher