Der Zauberstein von Brisingamen
Kinder standen schaudernd an dem schlammigen Ufer.
Die Luft war dunstig, die ganze Gegend bedrückend. Die kahle Einöde war von einer Reihe zerfallener Häuser gesäumt, wie man sie, einem Ring rostiger Schlacke gleich, in den Randzonen vieler Städte und Dörfer heutzutage findet.
«Umgeben von Mooren und elenden Behausungen.» Die Worte Fenodyrees fielen den Kindern wieder ein, als sie die freudlose, pockennarbige Landschaft betrachteten. Was aber ganz offensichtlich merkwürdig schien, war, dass sie all dies überhaupt sehen konnten. Denn wenn sie tatsächlich am Llyndhu waren, dann hatte sich innerhalb einer Stunde jegliche Spur des Nebels, der ihn in den letzten zehn Tagen verhüllt hatte, verflüchtigt.
«Meinst du, wir sind hier richtig?», fragte Colin.
«Zwei von der Sorte kann’s nicht geben, und der See ist ja auch schwarz! Ich möchte nur wissen, was geschehen ist.»
«Oh, gehen wir», sagte Colin. «Dieser Ort macht mich ganz kribblig. Wir haben getan, was wir tun wollten; nun wollen wir den Rest des Tages genießen.»
In Wilmslow tranken die Kinder eine Tasse Kaffee, um den bedrückenden Eindruck Lindows zu vertreiben, danach radelten sie nach Alderley zurück. Sie hatten keine Pläne, doch die Sonne schien warm, und volle sechs Stunden würde es noch hell sein.
Sie überquerten gerade die Bahnhofsbrücke in Alderley, als sie es sahen: Eine leichte Brise aus Nordosten trieb den Rauch des Dorfs gemächlich über den Himmel, doch etwa in der Mitte des näher liegenden Hangs des Edge hing ein weißes Nebelknäuel in den Bäumen, als sei es dort vertäut. Und aus dem Nebel ragten die Kamine und Giebel von St. Mary’s Clyffe, dem Wohnort von Selina Place.
Neuntes Kapitel
St. Mary’s Clyffe
Das Zimmer war groß und die schwarz gestrichene Decke sehr hoch. Wände und Fensternischen waren mit schwarzen Samttapeten bedeckt. Der nackte Holzboden war dunkelrot. Auf einem Tisch lagen eine am Ende gegabelte Rute und ein silberner Teller, der ein Häuflein roten Pulvers enthielt. Neben dem Tisch stand ein Lesepult, auf dem ein alter, in Pergament gebundener, großformatiger Foliant lag; gegenüber stand ein Rost mit glühenden Kohlen.
Andere Möbel gab es nicht.
Grimnir sah der Gestaltwandlerin sehr ungnädig dabei zu, wie sie umständlich das vorbereitende Ritual zelebrierte. Er mochte Hexenmagie nicht: Sie baute ihm allzu sehr auf die urwüchsigen Naturgeister und das langsame Zusammenbrauen von Hass. Er selbst zog den Blitzschlag der Angst und die dunkle Macht des Geistes vor.
Doch hatte diese rohe Magie sicherlich Gewicht. Sie türmte Kraft auf Kraft, wie eine anschwellende Woge, und erdrückte ihr Opfer dann mit der Gewalt einer Lawine. Wenn es nur ein schnell wirkender Zauber wäre! Ihnen blieb womöglich nur noch sehr wenig Zeit, ehe Nastrond aufgrund seines erwachenden Misstrauens zu handeln anfing, und dann…
Grimnir schauderte bei dem Gedanken. Oh, wenn er erst einmal die Kraft dieses Steins seinem Willen unterworfen hatte, dann sollte Nastrond einen wahren Geist der Finsternis erstehen sehen! Einen, gegen den Ragnarök und alles, was es enthielt, nichts als eine Abfallgrube voller widerwärtiger Kreaturen wäre, die man vergessen konnte. Doch wie den Stein bezwingen? Er hatte all seinen Degenstößen getrotzt und ihn einmal beinahe umgebracht. Nun lag die einzige Chance noch in der Hexenkunst dieser Morthfrau, und die durfte nicht aus den Augen gelassen werden: Es würde nicht genügen, wenn der Stein ihr gehorchen würde. Sie traute ihm nicht mehr, als man erwarten konnte, doch war das Problem, wie er sich ihrer entledigen sollte, wenn sie ihre Rolle in seinen Plänen ausgespielt hatte, nicht von unmittelbarer Bedeutung.
Der Schatten Nastronds wurde für ihn im Geiste immer größer, und einzig in einem raschen Erfolg sah er eine Möglichkeit, sich zu behaupten.
Mit schwarzem Sand, den sie aus einer Lederflasche schüttete, malte die Gestaltwandlerin einen kompliziert gemusterten Kreis auf den Boden. Oftmals hielt sie dabei ein, malte mit der Hand ein Zeichen in die Luft, murmelte etwas vor sich hin, beugte das Knie und nahm dann ihre Tätigkeit wieder auf. Sie trug eine schwarze, mit einer scharlachroten Kordel zusammengebundene Robe und spitze Schuhe an ihren Füßen.
So vertieft war die Morrigan in ihre Arbeit und Grimnir so mit seinen Gedanken beschäftigt, dass keiner von den beiden die zwei Augenpaare bemerkte, die sich ganz langsam vor das Fenster schoben.
Der Kreis war
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