Der Zauberstein von Brisingamen
hatten, und noch einige Tage danach befanden sich die Kinder in einem Zustand qualvoller Sorge, was dieses Verschwinden wohl bedeuten könnte.
«Entweder hat Cadellin den Stein wiederbekommen», sagte Colin, «oder er hat den Kampf verloren.»
«Oder vielleicht meint er auch nur, wir wären jetzt außer Gefahr, oder vielleicht… nein, das ergäbe keinen Sinn… Oh, wenn wir es doch nur wüssten!»
Und obwohl sie zwei Nachmittage damit verbrachten, die Wälder von einem Ende zum andern zu durchstreifen, fanden sie keinen Hinweis, der ihnen weiterhelfen konnte. Falls ein Kampf, so erbarmungslos wie von Cadellin vorhergesagt, stattgefunden hatte, dann hatte er keine für sie sichtbaren Spuren hinterlassen.
Es war Frühwinter, der Himmel wolkenlos. Die Sterne leuchteten silbern in den samtenen, frostigen Nächten, und den ganzen kurzen Tag lang verleitete die Sonne die Erde zu dem Gedanken, es sei Frühling. Es war spät an einem Sonntagnachmittag am Ende der ersten Januarwoche, als Colin und Susan den steilen Weg hinter Alderley hinaufgingen, ihre Fahrräder schoben sie neben sich her. Sie gingen langsam, denn dies war kein Berg, den man schnell hinauflaufen konnte, und das letzte Stück war das schlimmste – steil und gerade, ohne jede Unterbrechung. Doch als sie erst einmal oben waren, ging es verhältnismäßig gut weiter. Sie waren jedoch kaum hundert Meter gefahren, da stieg Colin, der voranfuhr, plötzlich dermaßen heftig in die Bremse, dass er fast von seinem Fahrrad fiel und Susan beinahe über ihn stürzte.
«Sieh nur!», keuchte er. «Sieh mal da drüben!»
Das konnte nur Cadellin sein. Er stand, mit dem Stab in der Hand, vor der Silhouette von Castle Rock und sah über die Ebene hin.
Mit einem Mal waren alle Versprechen vergessen. Die Kinder ließen ihre Räder fallen und rannten los.
«Cadellin! Cadellin!»
Beim Klang ihrer Stimmen drehte der Zauberer sich herum und tat, als wolle er den Felsen verlassen. Aber gleich darauf verlangsamte er seine Schritte, blieb wie im Zweifel einen Augenblick lang stehen, ging dann zu der Bank und setzte sich.
«Oh, Cadellin, wir haben gedacht, Euch müsse etwas zugestoßen sein!», rief Susan und schluchzte vor Erleichterung.
«Mancherlei ist mir zugestoßen, aber trotzdem geht es mir darum nicht schlecht!»
Sein Gesicht war missmutig, aber auch verständnisvoll.
«Aber wir haben uns solche Sorgen gemacht», sagte Colin.
«Als die Eulen verschwanden, haben wir uns gefragt, ob ihr…
ob ihr… »
«Ich verstehe!», sagte Cadellin und lachte ein wenig. «Nein, nein, nein, ihr dürft das Leben nicht so furchtsam betrachten.
Wir haben die Vögel fortgerufen, weil wir wussten, dass euch von der Morthsippe keine Gefahr mehr drohte.»
«Na ja, daran haben wir auch gedacht», sagte Colin, «aber wir konnten einfach nicht anders: Wir mussten auch an die anderen Möglichkeiten denken.»
«Aber was ist denn mit der Morthsippe?», sagte Susan.
«Haben sie meinen Tropfen noch immer?»
«Ja und nein», sagte der Zauberer. «Ihre Gier und Niedertracht sind es derzeit, die uns Hoffnung machen.
Grimnir hat den Stein. Er hätte ihn Nastrond abliefern sollen, doch beabsichtigen die Morthsippe und er ihn für sich zu behalten. Vielleicht glauben sie, Feuerfrost könne ihnen Macht verschaffen. Aber dann sind sie im Irrtum! – Und hier wird die Angelegenheit ganz verzwickt: Es geht gleichzeitig das Gerücht, dass Grimnir und die Gestaltwandlerin vorhaben, den Vorteil auf ihre Seite zu bringen und die Sippe und die Svarts auf dem Trocknen sitzen zu lassen. So das Gerücht und darüber hinaus kann ich mir noch so einiges denken. Ich kenne Grimnir viel zu gut und kann mir daher nicht vorstellen, dass er seine Macht mit irgendjemandem freiwillig teilen würde; und die Morrigan ist ihm trotz all ihrer Tücke nicht gewachsen.
So kann es sein, dass all diese Niedertracht für uns eine Chance bereithält. Doch vorläufig sehen wir nur zu und warten ab. Feuerfrost ist nicht in Nastronds Besitz, und dafür müssen wir schon dankbar sein. So! Nun wisst ihr alles, und jetzt lasst uns wieder unserer Wege gehen!»
Colin und Susan waren so erleichtert, den Zauberer unversehrt anzutreffen, dass ihnen die Trennung von ihm längst nicht so traurig vorkam wie beim letzten Mal.
«Können wir denn immer noch gar nichts tun?», fragte Susan.
«Nicht mehr, als ihr in all den Monaten getan habt. Ihr habt eure Rolle gut gespielt, wenn wir diesen Nachmittag einmal vergessen, und dies müsst
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