Der Zauberstein von Brisingamen
Eingang hinter ihnen. Das blaue Licht erlosch, und an seiner Stelle lag dort Feuerfrost, umgeben von den vereinzelten Resten des Zauberkreises der Gestaltwandlerin.
Colin und Susan standen da wie angewurzelt. Dann aber bewegte sich Susan ganz langsam, als fürchte sie, der Stein verschwände, wenn sie Atem holte oder ihren Blick von ihm abwendete, auf ihn zu und hob ihn auf.
Schweigend hakte sie das Armband auf und befestigte es an ihrem Handgelenk. Sie konnte kaum glauben, was sie da tat.
Diesen Augenblick hatte sie so viele Monate lang in ihren Träumen herbeigesehnt, und immer hatte es ein böses Erwachen gegeben.
Eingezwängt in einem kleinen Zimmerchen unterm Dach warteten Selina Place und Grimnir. Beider Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Sie kannten den Preis, den sie bei einem Misserfolg zu zahlen hätten, nur zu gut. Nicht ein einziges Mal in tausend Jahren hatte jemand ihresgleichen einen Befehl Nastronds missachtet, aber jeder von ihnen hatte schon einmal von den äußeren Sälen Ragnaröks aus in den Abgrund geschaut. So unterwarf Nastrond das Böse seinem Willen.
«Es kann nicht mehr lange dauern», sagte Morrigan.
«In fünf Minuten muss der Stein…»
Eine dünne Rauchschwade kam unter der Tür hindurch und schwebte durch den Raum, begleitet von einem schluchzenden Geräusch. Morrigan sprang von ihrem Stuhl. Ihre Augen funkelten wild, und Schweiß stand ihr auf der Stirn.
«Non licet abire!» Sie breitete ihre Arme aus, um den Weg zu versperren. «Coniuro et conifirmo super…»
Doch der Rauch wirbelte um sie herum auf die Feuerstelle zu und wallte in den Kamin. Eine Bö seufzte klagend an den Fenstern vorbei, dann war es still.
«Nein! Nein», murmelte sie wie betäubt, als sie sich zur Tür tastete, die Grimnir bereits aufgestoßen hatte, um anschließend über den Flur zur Treppe zu rennen. Er war den ersten Absatz schon zur Hälfte hinunter, als irgendwo Glas splitterte und ein dunkler Schatten vom Fenster über ihm auf die Treppe fiel.
Morrigan stieß einen rauen Angstschrei aus, und Grimnir schnellte, gefährlich wie eine Spinne auf Beutezug, herum.
Der Lärm weckte Colin und Susan aus ihrer Benommenheit.
Wieder schrie Morrigan.
«Schnell, wir müssen hier raus!», sagte Colin und zog seine Schwester in den Gang. «Sobald wir draußen sind, lauf so schnell du kannst. Ich bleibe direkt hinter dir!»
Oben brach ein wildes Spektakel los, und was davon nach unten drang, klang alles andere als angenehm: Jede andere Gefahr erschien ihnen dagegen harmlos – bis Colin die Tür öffnete. Ein heiseres Knurren, und aus dem Nebel tauchte ein Wesen auf, das die Kinder rückwärts ins Haus zurücktaumeln ließ, aber noch ehe sie die Tür schließen konnten, war Morrigans Jagdhund über die Schwelle und stand in seiner ganzen Bösartigkeit vor ihnen.
Er ähnelte einem Bullterrier, nur dass seine Schulterhöhe ungefähr einen Meter zwanzig betrug und seine Ohren, im Gegensatz zu seinem weißen Körper, mit struppigen roten Haaren bedeckt waren. Was ihn jedoch von allen anderen unterschied, war, dass sein Schädel außer spitzen Ohren und hochgezogenen Lefzen nichts aufwies: Er hatte keine Augen.
Das Untier blieb stehen, schwang seinen eckigen Schädel hin und her und schnüffelte geifernd mit weit offenen Nüstern; als es die Witterung der Kinder aufgenommen hatte, bewegte es sich mit einer Sicherheit langsam auf sie zu, als ob es Augen besäße. Colin und Susan stürzten zur nächsten Tür und in einen Raum, der offensichtlich die Küche war; hier bot sich ihnen kein Schutz, nur eine weitere Tür.
«Wir müssen es riskieren», sagte Susan, «dieses Vieh wird uns gleich nachkommen.» Sie vertraute nicht auf den schwachen Riegel, der unter dem Scharren der Pfoten heftig wackelte. Doch während sie sprach, hörten sie noch ein Geräusch: Schritte, die sich schnell der Tür näherten! Und dann gab der Riegel nach, und der Hund war in der Küche.
Colin ergriff einen Stuhl. «Komm hinter mich», flüsterte er.
Die Bestie erstarrte beim Klang seiner Stimme, aber nur für einen Augenblick, dann hatte sie sich erneut orientiert.
«Kommen wir an ein Fenster?» Colin wagte nicht, seine Augen von dem Hund zu wenden, der auf sie zukam.
«Nein.»
«Gibt es einen anderen Ausgang?»
«Nein.»
Er parierte die Versuche des Hundes, ihn anzuspringen und zu beißen, mit dem Stuhl, doch der war schwer, und seine Arme taten ihm unerträglich weh.
«Hinter uns ist ein Besenschrank oder etwas Ähnliches,
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