Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Zauberstein von Brisingamen

Der Zauberstein von Brisingamen

Titel: Der Zauberstein von Brisingamen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Garner
Vom Netzwerk:
Schimmelflecken bedeckt, und doch sah sie so aus, als könne sie das Gewicht der Kinder tragen. Die Bedrohlichkeit ihrer Lage ließ keine Bedenken zu. Sie durften nicht zögern. Da sie zum Klettern beide Hände brauchten, steckten sie ihre Lampen in ihre Anoraks und stiegen in die Finsternis hinab.
    Das Seil war schlüpfrig, und es beanspruchte ihre ganze Willenskraft, mit gleichmäßiger Geschwindigkeit hinunterzuklettern. Dies bewerkstelligten sie, indem sie sich Sprosse für Sprosse im gleichen Takt hinunterarbeiteten, den Colin angab: «Eins – zwei – drei – vier – fünf – sechs –
    sieben.» Er befand sich zehn Sprossen über seiner Schwester, und der Drang, die Geschwindigkeit zu erhöhen, war sehr stark; er versuchte, nicht daran zu denken, was passieren würde, wenn Grimnir an das obere Ende der Leiter käme, während sie noch daran hingen.
    «Hundertundvierzig – und eins – zwei – drei – vier – fünf.»
    «Ich bin unten!», rief Susan. «Ist feucht hier!» Die Leiter endete wenige Zentimeter über einer Sandinsel, die am Fuß des Schachtes lag; vier Gänge führten von hier fort, von denen keiner besonders einladend aussah. Zwei waren ganz schlammig, und zwei waren überflutet. Colin entschied sich für den seichteren der beiden überfluteten Tunnel, in dem umherliegende Felsbrocken als unzuverlässige Trittsteine dienten, und die Kinder kamen einige Meter weit trocken, wenn auch mühsam voran. Da sah Colin, als er Susan über eine besonders große Wasserfläche hinüberhalf, wie das Ende der Leiter wild in der Luft herumzutanzen begann.
    Irgendjemand hatte sich offensichtlich an den Abstieg gemacht.
    Das braune Wasser spritzte bis an die Decke, als Colin und Susan die Beine in die Hand nahmen und über glitschige, unter der Wasseroberfläche liegende Steine hetzten. Aber der Tunnel führte nun aufwärts, und zu ihrer Erleichterung ließen sie das Wasser hinter sich und liefen jetzt auf trockenem Sand. Das war jedoch nicht lange hilfreich: Bald lag dieser so hoch, dass die Kinder gezwungen waren, tief gebückt zu laufen und schließlich auf Händen und Knien zu kriechen. Was wird, wenn Decke und Boden zusammenstoßen, dachte Susan, und wir zurück müssen… oder warten? Schweiß lief ihr in die Augen, ihre Haare und Kleider waren voller Sand, die Steine fügten ihr weitere blaue Flecken zu, und ihre Lungen schmerzten von der Anstrengung, in dieser überaus feuchten Luft Atem zu holen. Aber sie hatte ihren Tropfen wieder, und diesmal würde Susan ihn behalten, und wenn sämtliche Hexen und Dämonen aller Zeiten hinter ihr her wären. Aber angenommen, wir können nicht mehr weiter… Doch diese Sorge war ihr nun genommen: Im Strahl der Lampe zeigte sich das Ende des Tunnels und dahinter tiefes Dunkel.
    «Oh, was für ein Glück!», stammelte sie, und sie krochen hinaus auf einen weichen Sandhaufen. Sie mussten sich erst einmal auf alle viere niederlassen, mit hängenden Köpfen wie erschöpfte Hunde, und die kühle Luft einsaugen, die ein bisschen besser war als die im Tunnel; das plötzliche Fehlen des Echos ließ sie ahnen, dass sie sich in einer Höhle befinden mussten. In dem Tunnel hatte jede Bewegung ein verstärktes hohles Echo hervorgerufen, wodurch ihre Atemzüge trocken und weit entfernt klangen. Susan und Colin rappelten sich auf und blickten sich um. Nach Form und Größe war es genauso eine Höhle wie die der Schlafenden in Fundindelve, doch statt deren Licht drang hier von allen Seiten Dunkelheit auf sie ein.
    Die fahlen Wände waren braun, schwarz, rot, blau und grün geädert – Erzadern, die vor zwanzig Millionen Jahren den Wechsel von Wind und Wogen an einer Küste aufgezeichnet hatten.
    Colin bückte sich und horchte am Eingang des Tunnels.
    «Ich kann zwar nichts hören», sagte er, «aber wir sollten besser weiter, wenn wir können.»
    Ihren Verfolger abzuschütteln, war nun eine leichte Aufgabe.
    Sie befanden sich anscheinend in einem komplizierten System von Höhlen, die durch unzählige Tunnel und Schächte miteinander verbunden waren. Diese Höhlen waren bemerkenswert. Ihre Wände strebten in ungeheure Höhen und bildeten Gewölbe von den Ausmaßen einer Kathedrale; oft waren sie so weit voneinander entfernt, dass die Kinder sich, in der Mitte einer Höhle, einbilden konnten, sie wanderten in einer windstillen und Sternenlosen Nacht an einem Sandstrand entlang. Der lockere Sand dämpfte jedes Geräusch und unterstützte so die an ihren Nerven zerrende Stille

Weitere Kostenlose Bücher