Der Zauberstein von Brisingamen
Zickzacklinie und endete schließlich auf einem Felsvorsprung, von dem aus sie in eine gähnende Leere blickten. Colin legte sich auf den Bauch und spähte über den Rand.
«Nun ja, wir haben’s versucht.»
Etwa zweieinhalb Meter unter ihnen lag ein schokoladenbrauner See, auf dem Fetzen gelben Schaums schwammen. In einigen Metern Entfernung war eine Sandbank an der Oberfläche zu sehen, aber dahinter war nichts mehr.
«Na gut, gehen wir zurück zu der Planke!», sagte Colin.
Während des ganzen Wegs nach oben fragte er sich, wie er es fertig bringen sollte, noch einmal die Planke zu überqueren.
Und dann lag sie vor ihm, und Susan fragte: «Meinst du, du schaffst es?»
«Natürlich!»
Colin zwang sich vorwärts zu gehen. In seinen Ohren rauschte es, seine Beine waren wie aus Gummi, sein Atem ging rasselnd, sein Herz hämmerte, und dann hatte er Fels unter sich.
«Nichts dabei!»
Er leuchtete mit seiner Lampe auf die Planke, damit Susan losgehen konnte.
«Ja, es ist leichter. So herum geht’s aufwärts.» Susan war jetzt in der Mitte. «Möchte wissen, wie tief der Schacht ist.»
Sie blieb stehen.
«Nein, Sue! Sieh nicht runter; dir wird schwindelig werden!
Komm rüber, bleib nicht stehen!»
«Keine Sorge! Will nur mal sehen, wie tief es runtergeht.»
Und sie ließ den Strahl ihrer Lampe in den Schacht wandern.
Sie sah nassen Fels, riefig und schimmernd wie eine riesige Luftröhre, tief unter sich in der Dunkelheit verschwinden, und… Susan schrie auf. Die Lampe fiel ihr aus der Hand und polterte von Wand zu Wand in den Schlund des Schachts. Er war entsetzlich tief. Sie wankte, kippte nach vorn und umklammerte die Planke so heftig, dass sie zu schwanken und in ihrer Verankerung zu knirschen begann. Susan starrte, auf den Knien liegend, in das Loch und wimmerte vor Angst.
«Sue! Sue, steh auf! Was ist denn los? Sue!!»
«Augen! Da! Augen, die mich anstarren! Da unten im Dunkeln!!»
Die Planke wackelte jetzt beängstigend, eine Ecke lag schon nicht mehr richtig auf dem Rand. Colin versuchte sie zu halten, aber er hatte Angst an der Planke zu ziehen, da dann leicht das andere Ende seinen Halt verlieren konnte.
«Du musst kriechen, Sue, sieh nicht nach unten! Komm, es sind doch nur ein paar Schritte.»
«Ich kann nicht: Ich werde runterfallen.»
«Nein, das wirst du nicht. Hier, sieh mich an, sieh nicht in den Schacht. Komm schon, Sue!»
«Ich kann nicht: Ich werde runterfallen.»
Die Planke verschob sich um einige Zentimeter.
«Sue. Sieh nach oben. Sieh nach oben!! So ist’s besser. Und jetzt sieh nur mich an und kriech los.»
Susan biss die Zähne zusammen und begann sich auf Colin zuzuschieben. Sofort fing die Planke an noch stärker als vorher zu schwanken.
«Ich schaff’s nicht! Ehrlich, ich kann es nicht!»
«In Ordnung, Sue. Bleib da, ich komme!»
Und ohne auch nur einen Augenblick zu zögern, betrat Colin die Planke und ging zu ihr.
«Jetzt gib mir deine Hand! Glaubst du, dass du aufstehen kannst?»
Er bückte sich, wobei er versuchte, nur in das Gesicht seiner Schwester zu schauen.
Susan griff nach seiner Hand und schlang ihren anderen Arm um seine Knie. Die Planke wackelte wie wild. Colin kämpfte um sein Gleichgewicht. Susan hatte ihres vollständig verloren.
Indem sie sich an ihren Bruder klammerte, zog sie sich langsam hoch, bis sie zitternd, ihre Arme auf seinen Schultern, dastand.
«Und jetzt geh. Nein, warte: Ich sag dir, wann. Mit mir zusammen, jetzt: eins… zwei…»
Colin ging rückwärts über die Planke, mühsam jeden Schritt hinter sich ertastend.
Elftes Kapitel
Der Prinz der Huldraleute
Ich weiß nicht, was über mich gekommen ist», sagte Susan. «Erst hatte ich keine Angst, irgendetwas trieb mich die ganze Zeit vorwärts.»
Die Kinder hatten sich ein gutes Stück von dem Schacht zurückgezogen und saßen, mit dem Rücken an die Wand des Tunnels gelehnt, auf dem Boden. Sie hatten beide eine Ruhepause nötig.
«Ich war mir so sicher, dass wir in die richtige Richtung gingen, dass ich hätte heulen können, als der Tunnel auf einmal so abfiel. Und als du sagtest, wir sollten besser weitergehen, und wir dann zu dem Vorsprung kamen, wollte ich ins Wasser springen!»
«Das wäre dann wirklich das Ende gewesen!»
«Ich weiß, aber der Drang war so stark. Über die Planke zu gehen war leicht. Ich wusste einfach, sie war sicher, und mir war nicht schwindlig. Aber als ich diese vier Augenpaare in dem Schacht glühen sah, hat sich irgendwas bei mir
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