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Der Zauberstein von Brisingamen

Der Zauberstein von Brisingamen

Titel: Der Zauberstein von Brisingamen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Garner
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dicht folgten, aber dann strauchelte Susan und stürzte gegen einen umgefallenen Baum.
    «Ich kann nicht mehr weiter!», schluchzte sie. «Meine Beine machen nicht mehr mit!»
    «Oh doch, du kannst! Nur noch ein paar Meter!» Colin hatte einen riesigen Felsblock entdeckt, der ein kleines Stück vor ihnen aus dem Sumpf ragte; wenn sie den nur erreichen konnten – er würde ihnen immerhin mehr Sicherheit bieten als ihre gegenwärtige Lage, die kaum schlimmer sein konnte.
    Er packte seine Schwester am Arm und zog sie durch den glucksenden Schlamm zum Fuß des Felsens.
    «Und jetzt da hoch!»
    Während Susan ihren Körper mühsam auf den flachen Gipfel hochzog, stellte Colin sich mit dem Rücken zum Fels, wie ein gestellter Fuchs, der der Jagdmeute die Stirn bieten will.

    Das Ufer des Sumpfs war jetzt eine einzige Masse sich drängelnder Körper. Der aufsteigende Mond beschien ihre ledrigen Häute und spiegelte sich in ihren Augen. Colin konnte sehen, wie weiße Gestalten sich nach beiden Seiten verteilten, um den Felsen einzukreisen. Sie hatten es jetzt nicht mehr eilig, denn sie wussten, dass ein Entkommen unmöglich war.
    Colin kletterte seiner Schwester hinterher. Jeder Muskel tat ihm weh und er zitterte vor Erschöpfung.
    Als der Kreis geschlossen war, begannen die Wesen über den Sumpf vorzurücken; mühelos bewegten sie sich auf ihren großen Plattfüßen über den Morast. Sie kamen immer näher, bis der Felsen von einem Meer grinsender Fratzen umringt war.
    Von allen Seiten zugleich schlängelten sich Seile durch die Luft auf sie zu, geschmeidig wie Seide, haltbar wie Stahl, und legten sich um die Kinder, als seien sie mit Leim bestrichen.
    Im Nu wurden Colin und Susan hilflose Opfer der klebrigen Schlingen, und die Rotte kam über sie und zwickte und zwackte sie schadenfroh und band und fesselte sie, bis die Kinder – nur noch ihre Köpfe waren frei – wie zwei Kokons auf dem Felsen lagen.
    Als man sie aber auf die knochigen Schultern heben wollte, schien ein Wunder zu geschehen. Ein greller Blitz flammte auf, und dann schien der ganze Fels von einem See aus blauem Feuer umgeben. Die Kinder spürten keinerlei Hitze, doch ihre Gegner stürzten zischend und fauchend in den Sumpf, und die klebrigen Seile verkohlten und zerfielen zu Asche, während in dieser ganzen grausigen Versammlung die Hölle losbrach.
    Dann ertönte aus der Dunkelheit eine Stimme über der wogenden Masse.
    «Seit wann sind Menschenkinder so mächtig, dass ihr eurer Hunderte nötig habt, um Zweien zu begegnen? Lauft, ihr Gezücht von Ymir, ehe ich die Geduld verliere!»

    Beim ersten Ton dieser Stimme war die Meute verstummt, und jetzt zog sie sich langsam und murrend zurück; sie schimmerte in dem blauen Licht, schwankte, wandte sich um und floh. Die betäubten Kinder nahmen das Geräusch der hastenden Füße wie im Traum wahr. Bald war nur noch das Steingepolter am gegenüberliegenden Hang zu hören, dann nichts mehr. Die kalten Flammen um den Felsen flackerten noch einmal auf und verloschen. Über dem stillen Tal schien friedlich der Mond.
    Als ihre Augen sich an das mattere Licht gewöhnt hatten, sahen die Kinder unter einem Felsvorsprung etwas über ihnen einen alten Mann stehen; er war größer als jeder andere, den sie je gesehen hatten, und sehr dünn. Bekleidet war er mit einem weißen Gewand, er hatte weißes Haar und einen weißen Bart, und in seiner Hand trug er einen weißen Stab. Er betrachtete Colin und Susan, und als sie sich aufrichteten, begann er wieder zu sprechen, doch diesmal lag kein Zorn in seiner Stimme. «Kommt rasch, Kinder, es könnte sich noch Schlimmeres als die Svarts hier draußen herumtreiben; ich spüre viel Böses in dieser Nacht. Kommt, ihr braucht euch nicht vor mir zu fürchten.»
    Er lächelte und streckte eine Hand aus. Colin und Susan kletterten von ihrem Felsen und stapften durch den Sumpf, um ihm zu folgen. Trotz ihrer Mäntel und obwohl die Strapazen jetzt überstanden waren, zitterten sie.
    «Bleibt nah bei mir. Ihr habt zumindest für diese Nacht das Schlimmste hinter euch, doch wir dürfen kein Wagnis eingehen.»
    Und er schlug mit seinem Stab gegen den Fels. Ein hohles Rumpeln ertönte, dann tat sich in dem Stein ein Riss auf, durch den ein schwacher Lichtstrahl zu ihnen drang. Der Spalt weitete sich und gab den Blick frei auf einen hohen, schmalen Gang, der in die Erde hinunterführte: Er war von einem sanften Licht erleuchtet, das sehr demjenigen glich, von dem die Meute im Moor vertrieben

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