Der zehnte Richter
ist ihm viel zu wichtig, als daß er mich einfach darauf herumtrampeln lassen würde. Außerdem -selbst wenn er mich nicht festnageln kann, wie viele Menschen schaffen es, einen Finderlohn von drei Millionen Dollar auszuschlagen?«
ZW ÖLFTES KAPITEL
Am folgenden Tag gegen Mittag wartete Ben, in der Ecke seines Büros an einen Aktenschrank gelehnt, darauf, daß der Drucker seinen ersten Entwurf des Sondervotums in der Sache Grinnell fertigstellte. Er brannte darauf, Lisa den Schriftsatz zu zeigen, denn er war überzeugt, daß sie ihn beeindruckend finden mußte. Warte nur, bis sie ihn sieht, dachte er, als die erste Seite aus dem Drucker lief. Dieser Entwurf ist so stark, daß sie begeistert sein wird. Zuerst, so malte Ben sich aus, wird sie sich ausgiebig entschuldigen. Sie bittet mich, ihr zu verzeihen, und schwört, meine Fähigkeiten nie wieder in Zweifel zu ziehen. Bestimmt sagt sie: Im Schreiben bist du mir einfach überlegen. Und dann reißt sie sich die Kleider vom Leib und legt sich nackt auf meinen Schreibtisch.
Während Ben in sich hinein lächelte, platzte Lisa ins Zimmer. Sie trug zwei mittelgroße Kartons, die sie auf dem Sofa abstellte. »Wo warst du denn?« fragte sie. »Du hast Blakes Jubiläumsparty verpaßt.«
»Na und?« Ben zog ein weiteres Blatt aus dem Laserdrucker. »Es ist mir völlig egal, daß er jetzt zehn Jahre am Gerichtshof ist. Außerdem wollte ich wirklich mit Grinnell fertig werden. Ich war fast am Ende und wollte den genialen Wendungen, die mir in meinen Computer flössen, nicht unvermittelt Einhalt gebieten.« Während Lisa zu ihrem Tisch ging, redete er weiter. »Was hat Blake überhaupt geboten? Hat er allen die Hände geschüttelt und für die freundliche Unterstützung gedankt?«
»Mehr oder weniger. Aber es war wirklich nett. Alle Richter waren da, und auch alle unsere Kollegen und die anderen Mitarbeiter. Es hat nur eine halbe Stunde gedauert, aber es war nett.« Lisa setzte ihre Lesebrille auf. »Außerdem hast du die unvermeidliche Auseinandersetzung zwischen Osterman und Kovacs versäumt.«
»Sind sie wirklich aufeinander losgegangen?« fragte Ben, neugierig auf den kolportierten Haß, der zwischen dem erzkonservativen Osterman und dem gemäßigt liberalen Kovacs schwelte.
»Es ist nichts passiert, aber sie sind die beiden einzigen Richter, die nie miteinander reden. Und Joel hat mir erzählt, als Kovacs hier angetreten ist, hat Osterman ihn mit den Worten begrüßt: Sie wissen hoffentlich, daß Sie eine Menge Lektüre vor sich haben .«
»Na hör mal.«
»Das ist kein Witz«, sagte Lisa. »Es war offensichtlich als Anspielung auf Kovacs' Intelligenz gemeint.«
»Und was hat er geantwortet?«
»Keine Ahnung. Mehr hat Joel nicht gewußt.«
»Es ist einfach albern«, meinte Ben. »Manche dieser Richter sind fast siebzig und benehmen sich immer noch kindisch. Wie Kleinkinder im Sandkasten.«
»So ist es eben.« Lisa lehnte sich zurück. »Die alten Richter schikanieren die neuen. Es ist wie eine geriatrische Studentenverbindung. Der jüngste Richter bekommt das schlechteste Büro, den schlechtesten Platz auf dem Podium, die schlechteste Saalreihe für seine Angehörigen. Selbst wenn sie sich zur Sitzung treffen, ist es der Richter mit dem niedersten Rang, der ans Telefon gehen muß, wenn es läutet, und der die Tür öffnet, wenn jemand klopft.«
»Das stimmt doch alles nicht, oder?«
»Das stimmt sehr wohl. Du brauchst nur in unseren Buchladen im Untergeschoß zu pilgern. Das steht alles in den Büchern über den Gerichtshof.«
»Ich kann's mir gar nicht vorstellen - Richter, die sich gegenseitig das Leben schwermachen.« Mit tiefer Stimme imitierte Ben Richter Osterman und bellte: »He, Kovacs, vor der Anhörung morgen muß in meinem Amtszimmer säuberlich geputzt und Staub gewischt werden! Und wenn Sie das nicht fertigkriegen, können Sie sich das Sondervotum zu Mirsky an den Hut stecken! Haben Sie mich verstanden?«
»Jawoll, Herr Osterman, jawoll!« erwiderte Lisa.
»Wie haben Sie mich genannt?« brüllte Ben.
»Jawoll, Herr Vorsitzender Richter Osterman, jawoll!« kreischte Lisa.
Ben zog ein neues Blatt aus dem Drucker. »Ist doch vorstellbar, nicht?«
»Sag mal, bist du mit Grinnell wirklich fertig?«
»Hier ist das Votum«, verkündete Ben, als das letzte Blatt aus dem Drucker kam. Er warf das dreißigseitige Schriftstück auf Lisas Schreibtisch. »Frisch aus der Presse.«
»Übrigens, die Pakete da sind für dich gekommen.« Lisa zeigte aufs
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