Der zehnte Richter
Sofa. »Am Empfang stehen noch sieben weitere, aber die konnte ich natürlich nicht alle schleppen.«
Ben holte seinen Schlüsselbund aus der Hosentasche, schlitzte eines der Pakete auf und sah ein Jahrbuch der juristischen Fakultät der Columbia University. Ohne ein Wort zu sagen, klappte er den Karton wieder zu und ging zu seinem Tisch zurück.
Im Verlauf der folgenden halben Stunde beobachtete Ben Lisa bei der Lektüre seines Entwurfs und hoffte, in ihrer Miene einen Hinweis auf ihre Meinung zu entdecken. Sie muß blind sein, wenn sie es nicht gut findet, überlegte er. Als sie das letzte Blatt umdrehte, fragte er gespannt: »Na? Was meinst du?«
»Es ist ein ausgezeichnetes Votum.« Lisa legte ihre Lesebrille auf den Tisch. »Ich bin wirklich beeindruckt. Der vierte Teil ist phänomenal. Auf die logischen Konsequenzen der Mehrheitsmeinung hinzuweisen ist eindeutig die beste Methode, sie in Stücke zu reißen. Blake wird toben, wenn er das liest.«
»Ich hatte also recht.«
»Ja, ja. Du hattest recht. Ich werde deine Fähigkeiten nie wieder anzweifeln, Meister aller wissenschaftlichen Mitarbeiter.« Lisa zeigte auf die Pakete auf dem Sofa. »Und, was hast du da bekommen?«
»Nichts Besonderes.«
»Sag mir einfach, was es ist«, verlangte Lisa und ging zum Sofa.
Ben sprang von seinem Stuhl, um sie aufzuhalten. »Das ist privat«, sagte er und hielt den geöffneten Karton zu. »Nichts für ungut, aber ich möchte nicht darüber reden.«
»Was ist denn drin? Ein abgehackter Kopf? Pornoartikel? Was ist das große Geheimnis?«
»Finger weg!« Ben schob Lisas Hände vom Deckel des Kartons.
Überrascht von Bens heftigem Widerstand trat Lisa ein Stück zurück.
»Tut mir leid«, sagte Ben. »Ich will nur nicht, daß du das anfaßt.«
»Wenn du mir nicht vertraust, sag's mir einfach ins Gesicht.«
»Lisa, darum geht es gar nicht, ich will bloß -«
»Hör auf, mich zu verarschen. Das beleidigt meine Intelligenz genauso wie deine. Es hat doch offensichtlich was mit Rick zu tun. Was könnte sonst so wichtig sein?«
»Es hat nichts mit Rick zu tun.«
»Dann zeig mir, was in der Schachtel ist.«
»Lisa, das geht nicht. Ich -«
»Seit wir aus Boston zurück sind, schleichst du um mich herum. Ich weiß, daß es nicht die Bettgeschichte ist - da hab' ich eine höhere Meinung von dir. Aber es ist klar, daß du irgend etwas vor mir verbirgst.«
»Was sollte das denn sein?« fragte Ben unschuldig.
»Es ist die Art und Weise, wie du dich benimmst. Du bist einfach ... anders. Ich kann es nicht erklären. Als würdest du dich in dein Schneckenhaus zurückziehen. Und dann, als ich dich letzte Woche beim Telefonieren gestört hab', hast du mir erklärt, ihr würdet was für Obers Geburtstag planen. Als ich Ober kennenlernte, hat er mir erzählt, er sei im Sommer geboren. Er hat sich beschwert, so ein Geburtstagstermin sei das letzte, weil alle ihn ständig vergessen und man nie Geschenke bekommt. Und Ben, falls es dir nicht aufgefallen ist: Wir haben jetzt Dezember.« Lisa starrte ihren Kollegen schweigend an.
»Es ist nicht so, daß ich dir nicht vertrauen würde.«
»Dann sag mir endlich, was in dem Paket da ist.«
»Was?«
»Du hast mich wunderbar verstanden. Wenn du mir nur ein bißchen vertraust, sag mir, was da drin ist.«
»Es sind bloß alte Jahrbücher.« Zögernd klappte Ben den Karton auf und hielt eines in die Höhe. »Ich hab' gehofft, irgendwo Ricks Foto zu finden und ihn so identifizieren zu können.«
Lisa sah aus, als könnte sie jeden Moment explodieren. Ihr Gesicht war krebsrot vor Wut, ihr Fuß klopfte auf den Boden. Sie holte ihr Portemonnaie aus der Schublade, lief zur Garderobe, packte ihren Mantel und riß die Tür auf.
»Lisa, ich wollte doch nicht -«
Sie stürmte aus dem Zimmer und schlug krachend die Tür hinter sich zu.
Um acht Uhr abends trommelte Ben mit der Faust an die Haustür der Wohngemeinschaft. »Jetzt macht schon auf!« brüllte er. Beladen mit vier Kartons voller Jahrbücher, war er nahe daran, den Halt zu verlieren. »Beeilt euch!«
»Warte!« rief Nathan und lief in den Hausflur. »Ich komme!«
Als er die Tür aufmachte, taumelte Ben ins Haus und ließ die Pakete auf die Couch fallen. »Im Taxi sind noch mehr. Kannst du mir tragen helfen?«
Trotz der Kälte lief Nathan ohne Jacke zu dem Wagen, der vor ihrem Haus wartete. Er hievte drei von fünf Kartons aus dem Kofferraum und lief ins Haus zurück, gefolgt von Ben. »Das sind wohl die Jahrbücher«, schnaufte er,
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