Der zehnte Richter
»Kennst du das nicht? Ist ein berühmter Spruch.« »Zumindest ist er das gewesen«, meinte Ben sarkastisch, »und zwar damals zur Zeit der Ölkrise.«
»Hör mal, du brauchst dich nicht über mich lustig zu machen. Ich hab' Wichtigeres zu tun. Übrigens, wer hat dir die Blumen geschickt?«
Ben fiel schlagartig ein, daß er vergessen hatte, Ricks Geschenk wegzuwerfen. Er versuchte, Zeit zu gewinnen. »Welche Blumen?« stotterte er.
»Da steht ein riesiger Korb auf deinem Tisch.« »Der ist wahrscheinlich von meiner Mutter. Ich hab' ihr gesagt, daß es mir gestern Abend nicht gutging.«
»Soll ich den Umschlag aufmachen?« fragte Lisa. »Er liegt nämlich gleich neben -« »Nein!« brüllte Ben. »Finger weg.« »Tut mir leid. Ich wollte dir ja nicht -« »Ist nicht dein Fehler. Ich mag es bloß nicht, wenn andere Leute meine Briefe aufmachen.«
»Vielleicht sollte ich mir den Rest der Woche frei nehmen«, überlegte sich Ben, als er mit Nathan das Abendessen vorbereitete.
»Auf keinen Fall.« Nathan würfelte eine große Zwiebel. »Du willst ja schließlich nicht die Aufmerksamkeit auf dich lenken. Das Beste, was du tun kannst, ist, einfach deiner Arbeit nachzugehen.«
»Aber ich kann mich bestimmt nicht konzentrieren. Ich muß Rick finden. Ich muß -«
»Vergiß es«, unterbrach Nathan ihn. »Was willst du denn tun? Ziellos in der Stadt herum wandern, bis er dir vor die Nase läuft? Wenn Ober die Überprüfung korrekt anfordert, werden wir am Wochenende mehr wissen.« Er hob den Deckel vom Reiskocher, und eine duftende Dampfwolke verbreitete sich in der Küche. »Hast du dir schon überlegt, ob du Ober erzählen willst, was passiert ist?«
»Das muß ich ja.« Ben stellte zwei Teller auf den Tisch. »Er ist mein Freund.«
»Außerdem ist er ein Trottel«, ergänzte Nathan.
»Ja, aber mein Freund ist er trotzdem. Und er hat das Recht, zu erfahren, worum es bei diesem Brief geht.«
»Was ist mit Eric?« Nathan streute die gewürfelte Zwiebel in eine Pfanne.
»Ich weiß nicht recht. Ich will ja nicht jeden mit hin einziehen. Es ist schon schlimm genug, daß ihr beide darin verwickelt seid.«
»Deine Fürsorglichkeit in allen Ehren, aber ich glaube, du solltest Eric aufklären. Vielleicht kann jemand von seinen Kollegen bei der Zeitung irgendwas über das Gebäude herausfinden, in dem Rick gewohnt hat.«
»Das ist keine schlechte Idee«, stimmte Ben zu.
»Hast du schon darüber nachgedacht, ob du dich Hollis anvertraust?« »Das geht nicht.« Ben schüttelte den Kopf. »Er würde jede Achtung vor mir verlieren. Ganz abgesehen davon müßte er mich rausschmeißen, weil ich den Ehrenkodex verletzt habe.« Er legte Gabeln und Servietten auf den Tisch. »Aber ich glaube, ich werde Lisa informieren.«
»Schlechte Idee«, sagte Nathan. »Eindeutig eine schlechte Idee. Du kennst sie ja kaum. Wieso glaubst du, daß sie dich nicht verrät?«
»Das würde sie bestimmt nicht machen. Lisa ist eine echte Freundin. Außerdem hat sie ein Recht, die Sache zu erfahren. Schließlich hat auch sie mit Rick gesprochen. Ich muß es ihr also schon zu ihrer eigenen Sicherheit sagen.«
»Sie ist nicht in Gefahr. Du mußt ihr kein Sterbenswörtchen sagen.«
»Doch«, erwiderte Ben, »weil es richtig ist. Wäre die Situation umgekehrt, würde ich auch alles wissen wollen. Abgesehen davon ist es angesichts der Blumen, die Rick ins Gericht geschickt hat, ganz klar, daß er nicht einfach verschwinden wird. Ich glaube, er will mir mitteilen, daß er weiß, wie er an mich rankommt - und wenn das der Fall ist, muß ich Lisa warnen.«
»Sei bloß vorsichtig«, mahnte Nathan. »Es wäre schlimm, wenn es auf dich zurückschlagen ... Verdammt!« Nathan hatte eine Knoblauchzehe verfehlt und sich in den Finger geschnitten. »Scheißding!« brüllte er.
»Alles in Ordnung?« fragte Ben. »Ja, ist schon wieder okay.« Nathan hielt seinen blutenden Finger unter den Wasserhahn. »Es ist bloß ein winziger Schnitt.«
»Die tun am meisten weh.«
Im selben Moment kamen Ober und Eric nach Hause. »Oh, trautes Heim«, verkündete Ober, als er durch die Tür kam. Er marschierte direkt in die Küche und nahm Nathan aufs Korn. »Also, was sollte die ganze Heimlichtuerei heute? Was ist passiert, verdammt noch mal?«
Schweigend hielt Nathan seinen Finger hoch und sah zu Ben hinüber.
»Ich hab' ein paar Probleme.« Ben versuchte, so locker wie möglich zu klingen.
»Die sind hoffentlich kein Pappenstiel«, sagte Ober. »So eine vorgetäuschte
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