Der zehnte Richter
keinerlei kriminelle Absichten.«
»Wenn der Oberste Gerichtshof einen Assistenten feuert, kommt das in jede Zeitung unseres schönen Landes. Die Medien verbreiten Skandale am Gerichtshof schneller, als bei uns zu Haus der Nachtisch auf dem Tisch steht. Und wenn das geschieht, ist meine gesamte Karriere im Eimer. Ich würde meine Zulassung verlieren und könnte nie wieder als Anwalt arbeiten.«
»Ich hab' den Eindruck, du machst dir bloß Sorgen, dein Image als Überflieger zu verlieren.«
»Da hast du vielleicht sogar recht. Aber ich hab' mir den Arsch abgearbeitet, um dahin zu kommen, wo ich jetzt bin. Und das will ich auf keinen Fall einfach alles verlieren, indem ich ein Geständnis ablege. Nichts für ungut, aber das klingt mir nicht nach der optimalen Lösung.«
»Ich gehe nur allen Alternativen nach, die dir offenstehen«, sagte Nathan. »Du weißt, ich bin auf deiner Seite - egal, was du beschließt zu tun.«
Am nächsten Morgen klopfte Ben in aller Frühe an Nathans Zimmertür. »Hast du den Abholschein für die Fotos? Ich will sie gleich holen gehen.«
»Wart einen Augenblick.« Nathan hockte sich hin, um seine Tennisschuhe zuzubinden. »Ich komme mit.«
Nathan band die Schnürsenkel wieder auf, um sie erneut zuzubinden. »Jetzt mach schon«, drängte Ben. »Wie oft hast du sie jetzt schon zugebunden? Viermal? Fünfmal? Sechsmal? Das ist doch krankhaft, weißt du das?«
»Ich liebe einfach die perfekte Schleife.« Nathan war immer noch beschäftigt. »Du mußt schon verzeihen, daß ich ein Perfektionist bin.«
»Du bist kein Perfektionist, sondern das ideale Modell für den nächsten Kalender für Zwangsneurotiker.«
»So, fertig.«
»Das ist jetzt aber wirklich eine hübsche Schleife.« Ben starrte auf die Schuhe seines Freundes. »Überaus gelungen.«
»Purer Neid«, konterte Nathan, während sie zur Garderobe hinuntergingen. »Übrigens, meine Mutter plagt mich schon die ganze Woche. Kommst du am Abend vor Thanksgiving zu uns zum Abendessen?« »Wer ist denn alles da?« Ben knöpfte seinen Mantel zu.
»Meine Eltern, wir vier, und Lisa, wenn sie tatsächlich mitkommt.«
»Was meinst du mit wir vier ? Mit Eric setze ich mich nicht an einen Tisch.«
»Ach, komm.« Nathan öffnete die Haustür. »Das ist jetzt aber wirklich kindisch.«
»Keineswegs. Ich möchte mich bloß bei euch wohl fühlen. Wenn Eric da ist, ist das nicht der Fall. So einfach ist das.«
»Was soll ich deiner Meinung nach denn tun? Soll ich ihm sagen, daß er nicht kommen darf? Soll ich alle einladen und ihn ausschließen? Außerdem - wenn er nicht eingeladen ist, geben unsere Mütter mit Sicherheit keine Ruhe. Dann wollen sie die ganze Geschichte wissen, vom Anfang bis zum Ende.«
Sie schwiegen, bis sie zur nächsten Straßenecke kamen. Schließlich sagte Ben: »Gut. Er kann kommen. «
»Danke.« Nathan atmete erleichtert auf. »Ich freue mich, daß deine nachsichtige Seite gewonnen hat.«
»Glaub bloß nicht, daß das was mit Nachsicht oder Vergebung zu tun hat. Ich habe lediglich meinen Haß auf Eric gegen die Folgen mütterlicher Nachforschungen abgewogen. Das Ergebnis war eindeutig. Gegen Mütter kommt man nicht an.«
Drei Querstraßen weiter erreichten Ben und Nathan einen Laden mit der Aufschrift »Rob's Camera and Video«. Während sie auf die Eingangstür zugingen, sagte Ben: »Wir müssen die Fotos wahrscheinlich vergrößern lassen.«
»Das dürfte kein Problem sein. So was können sie innerhalb einer Stunde. Ich mache mir eher Sorgen, daß das Nummernschild nicht viel bringen wird.«
»Bestimmt bringt es was. Selbst wenn es uns nur zu einer Autovermietung führt, haben wir schon einen Anhaltspunkt.« Ben hielt Nathan die Tür auf und folgte ihm hinein.
Nathan zog die beiden Abholscheine aus der Tasche und gab sie einer der beiden Verkäuferinnen, die hinter der Ladentheke standen. »Wir wollen Bilder abholen.«
Während eines der Mädchen mit den Scheinen zu den Fächern ging, sah ihre Kollegin Ben neugierig an. »Sind Sie vielleicht an der Maryland gewesen? Sie kommen mir nämlich bekannt vor.«
»Tut mir leid, bin ich nicht«, antwortete Ben. »Aber mein Freund. Er hat dort ein Diplom im Schuhebinden erworben.« Er zeigte auf Nathans Füße. »Haben Sie schon mal so was Pedantisches gesehen?«
Die Verkäuferin beugte sich über die Theke. »Das ist tatsächlich eine hübsche Schleife.«
»Tut mir leid«, sagte ihre Kollegin, während sie in ihren Umschlägen wühlte. »Wann sollten Ihre Bilder
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