Der zehnte Richter
separat zugestellt worden, während wir weg waren.« Ben gab Nathan den Brief. »Auf dem Umschlag war keine Briefmarke.« Während Nathan die Notiz überflog, kam Ober aus dem Badezimmer.
»Was ist denn los?« wollte er wissen.
Schweigend reichte Nathan den Brief weiter.
»Kann ich mal draußen mit euch reden?« fragte Ben und winkte Nathan und Ober zur Haustür. Vor dem Haus stiegen die drei Freunde in Nathans Wagen.
»Wann hast du den Brief entdeckt?« Nathan schlug die Wagentür zu.
»Gerade eben«, antwortete Ben nervös. »Was hältst du denn von dem zweiten Satz, wo es heißt, er würde alles über das Wochenende erfahren?«
»Du weißt ja schon, was ich denke«, antwortete Nathan. »Wenn das keine Anspielung auf Lisa ist, fress' ich 'nen Besen.«
»Ich weiß. Ich weiß«, sagte Ben. »Aber wenn er mit Lisa unter einer Decke steckt, würde er dann wirklich ihre Tarnung preisgeben?«
»Ich glaube, im Augenblick spielt Rick einfach mit uns«, fuhr Nathan fort. »Wenn er insgeheim mit Lisa zusammenarbeitet, genießt er das Spielchen. Und wenn es nicht so ist, macht er uns damit nervös, daß er so tut. Auf jeden Fall spielt er mit der Angst davor und macht uns systematisch verrückt. Offenbar weiß er, wieviel Lisa dir bedeutet.«
»Scheiße.« Ben sackte auf dem Sitz in sich zusammen.
»Darf ich mal was fragen?« meldete sich Ober vom Rücksitz. Ohne auf die Erlaubnis zu warten, fuhr er fort. »Warum sitzen wir eigentlich im Auto?«
Nathan schüttelte den Kopf. »Hör mal, du Pflaume, wenn Rick in der Nähe war, um höchstpersönlich einen Brief einzustecken, und wenn er wußte, daß wir nicht zu Hause waren, liegt es nahe, daß er sich bei uns ein bißchen umgesehen hat.«
»Meinst du, er hat bei uns eingebrochen?«
»Warum denn nicht?« meinte Ben. »Er wußte, daß er nach allen Informationen suchen konnte, die wir über ihn haben. Er konnte das Haus in aller Ruhe mit Wanzen spicken. Im Grunde konnte er machen, was er wollte. Was mich betrifft, werde ich da drin kein Sterbenswörtchen mehr von mir geben.«
»Und was hast du jetzt vor?« erkundigte sich Nathan.
»Ich glaube, jetzt müssen wir es endlich schaffen, Ricks Identität festzustellen. Wenn wir ein Foto von ihm bekommen und es im State Department überprüfen lassen könnten, wären wir wesentlich näher dran, ihn einzukassieren.«
»Über unseren kleinen Fototermin wußte er offensichtlich auch Bescheid«, sagte Nathan.
»Genau«, bestätigte Ben. »An seiner Stelle würde ich also kein weiteres Treffen riskieren, bevor wir ihm die Entscheidung zukommen lassen. Das heißt, wir müssen einen ausgefalleneren Weg gehen, um ihn aufzuspüren.« Ben setzte sich auf. »Alles, was wir wirklich über ihn wissen, ist folgendes: Er ist achtundzwanzig bis achtunddreißig Jahre alt, er ist clever, und er weiß, was er tut. Außerdem muß Rick - falls das überhaupt sein echter Name ist - meiner Meinung nach Anwalt sein. Er kennt sich in juristischen Dingen viel zu gut aus, um als Laie durchzugehen.«
»Wird man eigentlich fotografiert, wenn man das Anwaltsexamen ablegt?« fragte Nathan.
»Genau in dieser Richtung denke ich auch«, sagte Ben. »Wenn wir alle Informationen auswerten, die wir über ihn besitzen, sollten wir auch auf eine Gelegenheit kommen, bei der er fotografiert worden ist. Und wenn wir dieses Bild auftreiben, sollten wir ihn auch identifizieren können.« »Was ist denn mit dem Anwaltsexamen?«
»In manchen Bundesstaaten wird man nicht fotografiert«, erklärte Ben. »Und ich bin nicht sicher, ob die Anwaltsvereinigung solche Informationen überhaupt freigibt.«
»Wie steht's denn mit dem Foto im Führerschein?« schlug Ober vor.
»Das wäre eine viel zu weite Kategorie«, sagte Ben. »Selbst wenn wir wüßten, aus welchem Staat er kommt, müßten wir zu viele Leute überprüfen.« Es wurde allmählich kühl in dem Wagen, und die drei Freunde rieben sich die Hände, um warm zu bleiben. »Ich hab' mir folgendes gedacht: Wenn Rick Anwalt ist, hat er natürlich Jura studiert. Also müßte sein Bild in den letzten fünfzehn Jahren im Jahrbuch irgendeiner juristischen Fakultät auftauchen. Da insgesamt über hundert Unis solche Fakultäten haben, wäre die Suche im Prinzip zu aufwendig, aber ich denke, wir können uns auf die zehn oder zwölf besten Hochschulen beschränken: Yale, Harvard, Stanford, Columbia und so weiter. Rick ist ein echter Snob - ich möchte wetten, daß er auf einer Eliteuni war.«
»Das sind aber immer noch
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