Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Zeichner der Finsternis

Der Zeichner der Finsternis

Titel: Der Zeichner der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilsa J. Bick
Vom Netzwerk:
aus.« Er hinterließ seine Handynummer und legte auf.
    Die letzte Anruferin war Dr. Rainier. Sie kam sofort auf den Punkt: »Ich erwarte dich am Dienstag in meiner Praxis, Christian. Wir müssen besprechen, wie wir weiter vorgehen wollen.« Pause: »Das war … schon doll. Du bist sehr mutig. Lass dir von niemandem etwas anderes erzählen.« Pause. »Aber triff jetzt bitte noch keine Entscheidungen und mach um Himmels willen keine Dummheiten, weil du womöglich Schuldgefühle hast. In Ordnung?«
    Ich war wie vor den Kopf geschlagen.
    Woher wusste Dr. Rainier, dass sich das Raunen zurückgemeldet hatte?
    + + +
    Ich hielt mich an ihre Bitte und machte keine Dummheiten. Aber ich unternahm auch nichts in Bezug auf die gemalte Tür an meiner Wand, weder in der einen noch in der anderen Richtung.
    In der Schule war es eigentlich wie immer. Meine Mitschüler standen in Grüppchen zusammen, warfen mir neugierige Blicke zu und tuschelten. Allerdings nicht alle, was mich echt überraschte. Manche fragten auch ganz locker: »Na, alles klar?«, und so.
    Die Mittagspause verbrachte ich mal wieder im Kunstraum. Dort kam mir alles so fremd vor, als wäre ich hundert Jahre nicht mehr dort gewesen. Ich selbst kam mir wie ein Fremder vor. Die Zeichnung von meiner Mutter stand mit einem Tuch zugehängt noch auf der Staffelei. Ich hielt kurz inne, bevor ich das Tuch von ihren vielen Gesichtern hob.
    Ich betrachtete ihre Augen, die ich so gut kannte, ihr Gesicht, das ich in meinen Wachträumen vor mir gesehen hatte. Ich spürte Mordechai Witeks Pinsel in der Hosentasche. Natürlich wollte ich damit nicht auf einer Kohlezeichnung rumpfuschen, aber ich konnte mich einfach nicht von ihnen trennen. Ich hielt mich sozusagen an den Pinseln fest wie ein Ertrinkender, der sich an einem Ast festklammert.
    Ertrank ich denn? Drohte mich ein Wasserfall in den Abgrund zu reißen? Das lag ganz bei mir, das spürte ich. David hatte mich als Sprachrohr benutzt, aber ich hatte diese Gabe auch schon vorher besessen. Sogar als David schon im Sterben gelegen hatte, war es mir gelungen, eine gedankliche oder seelische oder was auch immer für eine Verbindung mit ihm herzustellen.
    Aber jetzt war er tot. Als ob einem ein Geldstück in den Gully fällt, und man kriegt es nicht mehr raus – so kam ich mir vor.
    Meine Mutter dagegen war noch da. Ich musste mich nur überwinden, mit ihr in Verbindung zu treten.
    Ich hängte die Kohlezeichnung wieder zu. Ich hatte keinen Strich daran getan.
    Dann setzte ich mich allein auf die Hintertreppe derSchule und aß mein Brot. Die Stufen waren hart, und das Brot schmeckte wie Sägemehl.
    + + +
    »Was geht in dir vor?«, fragte Dr. Rainier.
    »Ich will nicht mehr herkommen. Nicht weil ich sauer auf Sie bin oder keinen Bock hab, mit Ihnen zu reden. Aber es steht jetzt ja wohl fest, dass ich nicht geisteskrank bin und nächstens Amok laufe oder so, sondern dass ich eine ungewöhnliche Gabe besitze. Ich muss allein rausfinden, was ich damit anfange.«
    »Weißt du denn inzwischen, um was für eine Gabe es sich handelt und was du damit anfangen könntest?«
    Ich schüttelte den Kopf. Es klingt bescheuert, aber ich hatte mit dem Gedanken gespielt, dass ich vielleicht eine Art übersinnlicher Verbrecherjäger werden konnte. Immerhin hatte ich entscheidend dazu beigetragen, zwei Morde aufzuklären und den falschen Mr Eisenmann zu entlarven. Und dann war da noch das eingemauerte Baby.
    »Haben Sie es bekommen?«, fragte ich.
    Dr. Rainier öffnete auf ihrem Computerbildschirm ein Foto. »Ich habe es mit dem Handy abfotografiert. Hoffentlich erkennst du genug.«
    Und ob! Ich deutete auf das rote Haarband. »Auf dem Foto in Mordechai Witeks Brieftasche trägt sie es auch. Und sie hat ein ziemlich fliehendes Kinn. Sie und ihre Mutter sehen sich sehr ähnlich.«
    »Du meinst, beide litten an Treacher-Collins? Das kann gut sein. Das Haarband sollte Martas fehlende Ohren verdecken,und die Mutter hat die Missbildung mit ihrer Frisur kaschiert. Ob sie beide taub waren?«
    Bestimmt. Hatte Wulf nicht zu Daecher gesagt, die Frauen würden den Lärm in der Scheune nicht hören?
    Marta hatte Dolmetscherin werden wollen – aber nicht für Deutsch oder Polnisch, sondern für Gebärdensprache. Darum fuchtelte sie auch in Davids Erinnerung immer mit den Händen.
    Dr. Nichols wollte die DNA des Babys mit der von David und Mordechai vergleichen, um die Verwandtschaft festzustellen. Und wer war nun der Vater des Kindes? Ich hätte die Hand

Weitere Kostenlose Bücher