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Der Zeichner der Finsternis

Der Zeichner der Finsternis

Titel: Der Zeichner der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilsa J. Bick
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den Halloween-Geistern auf, die in ganzen Autokolonnen mit ihren Eltern angefahren kamen, weil die Schoenbergs so weit draußen wohnen. Es war lustig, den Kleinen zuzuschauen, wie sie sich anstrengten, mit einer Hand möglichst viel aus dem Sack zu grabschen.
    Ja, doch, es war gar nicht so übel.
    Dann wurde es dunkel, und ein paar von den Jungs – die Sportlerclique aus der Schule, die ziemlich locker drauf war – machten Feuer auf dem großen Grill im Garten, derein Stück vom Haus und gut fünfzig Meter vom Wald entfernt war. Es war ziemlich kalt draußen. Ich hatte noch ein dickes schwarzes Sweatshirt dabei, das zog ich jetzt über. Sarah tauschte ihr Ballkleid leider gegen Jeans und ein dunkelblaues Sweatshirt, aber wenigstens ließ sie die Locken offen, was zugleich elegant und niedlich aussah. Mrs Schoenberg brachte uns Kräcker, Marshmallowtüten und diese sauleckeren Marshmallow-Schokoriegel von Hershey’s nach draußen, die ich seit ewigen Zeiten nicht mehr gegessen hatte.
    Das klingt alles nicht besonders spektakulär – stimmt schon. Aber es machte trotzdem Spaß, am Feuer zu sitzen, Marshmallows in die Flammen zu halten und Süßkram zu futtern bis zum Abwinken. Die Holzscheite knackten, Funken flogen durch die Nacht wie Glühwürmchen, und ich musste daran denken, wie oft ich mir gewünscht hatte, von hier zu verschwinden. Und was ich alles zurückließ, wenn es so weit war. Ich malte mir aus, wie es nächstes Jahr im Mai oder Juni sein würde, wenn ich Bescheid von der Uni bekam – und wurde ein bisschen traurig.
    Irgendwann stellte ich fest, dass ich es eigentlich ganz schön fand, nicht der totale Außenseiter zu sein. Okay, die anderen rissen sich immer noch nicht darum, mein bester Freund zu sein. Ich stand nicht im Mittelpunkt, weder im guten noch im schlechten Sinne, außer dass die anderen am Anfang überrascht gewesen waren, dass ich auch hier war. Aber jetzt war ich einfach da, machte alles mit, und ab und zu redete der eine oder andere ganz normal mit mir. Ich war eher am Rand, klar, aber es war sozusagen ein kleines Fenster aufgegangen – und zwar wegen Sarah. Ich wurde nicht direkt rührselig, aber ich stellte mir vor, wie Sarah und ichälter wurden, wie wir einander immer besser kennenlernen und miteinander reden würden. Ich dachte, bevor man so weit ist, dass man jemanden liebt, muss man erst mal richtig gut mit demjenigen befreundet sein.
    Komisch. Aber schön.
    So konnte es natürlich nicht bleiben, das war ja klar.
    + + +
    Gegen neun war die Piñata an der Reihe. Gar nicht gut. Das Raunen in meinem Kopf wurde immer lauter, als hätte jemand die Stereoanlage aufgedreht. War es die ganze Zeit dagewesen? Ja, aber ganz leise, wie Hintergrundrauschen. Ich hatte mich schon so daran gewöhnt, dass ich es überhört hatte. Jetzt war es nicht mehr zu überhören. Ich hatte zwar inzwischen Übung darin, mir nichts anmerken zu lassen, aber ich hätte am liebsten losgeheult. Das war nicht fair! Warum konnten mich die Stimmen nicht dieses eine Mal in Ruhe lassen, als ich versuchte, zur Abwechslung wie alle anderen zu sein? Aber das war anscheinend zu viel verlangt.
    Ich glaube, die Piñata war der Auslöser. Ich schaute zu, wie die anderen immer wilder auf den Pappmaché-Esel eindroschen, und hatte eine Art Flashback , denn ich sah wieder vor mir, wie Wulf Mordechai Witek den Schädel einschlug. Ich hörte es knacken und knirschen, ich roch das Blut, ich bekam Herzrasen und schwitzte.
    »Na los, Christian!«, rief Sarah lachend. Sie kam mit dem Baseballschläger zu mir rüber und zog mich am Arm. »Du bist dran! Verpass ihm eins!«
    »Lass mal. Ich kann so was nicht gut.«
    »Ach komm schon.« Ihr Blick war zugleich bittend und ärgerlich: Jetzt stell dich nicht so an, es läuft doch gerade so gut!
    Ich schaute zu den anderen hinüber. Sie warteten darauf, dass ich loslegte. Mir fiel ein, was Dr. Rainier gesagt hatte (oder war es Sarah gewesen?): Hast du schon mal darüber nachgedacht, dass du dich vielleicht selbst ausschließt?
    »Okay – gib her.« Ich ließ mir die Augen verbinden und hieb mit dem Schläger auf den Esel ein. Erst feuerten mich die anderen an, aber auf einmal verstummten sie. Die Luft war plötzlich wie geladen. Was war da los? Von Weitem hörte ich Mrs Schoenberg in der Küche munter schwatzen, ein Mädchen lieferte beim Karaoke eine ziemlich mäßige Mariah-Carey-Imitation ab – dann schwoll das Raunen in meinem Kopf jäh an.
    Ich riss mir die Augenbinde herunter.

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