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Der Zeichner der Finsternis

Der Zeichner der Finsternis

Titel: Der Zeichner der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilsa J. Bick
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trockenen Lippen. Ich war am Verdursten.
    »Die Lösung«, sagte ich dann heiser. »Ich weiß jetzt, wie ich die Lösung malen kann.«

XXVIII
    »Das ist doch Schwachsinn«, sagte Onkel Hank energisch. »Du malst dich in die Vergangenheit anderer Menschen hinein? So etwas gibt es nicht. Das spielt sich alles nur in deiner Fantasie ab. Das, was oben in deinem Zimmer passiert ist, genauso. Du hast schlecht geträumt, basta.«
    Ich widersprach genauso energisch: »Ich hab nicht geträumt! Ich war wütend. Du hast keine Ahnung, was ich in dem Zustand fertigbringe. Frag Dr. Rainier! Sie kann dir bestätigen, dass ich keinen Schwachsinn rede.« Ich sah Dr. Rainier, die mir am Küchentisch gegenübersaß, auffordernd an. »Los, erzählen Sie’s ihm. Erzählen Sie Onkel Hank von Ihrem Vater.«
    Dr. Rainier saß zusammengesunken da und hielt den Blick auf die Tischplatte gerichtet. Sie hatte die Hände um den Kaffeebecher gelegt, aber noch keinen Schluck getrunken. Zu meiner Geschichte hatte sie geschwiegen. Doch jetzt hob sie langsam den Kopf, bis sich unsere Blicke trafen. Erschrocken sah ich, wie grau und eingefallen ihr Gesicht war. Ich bekam ein schlechtes Gewissen. Erst jetzt begriff ich, dass ich eigenmächtig in ihre ganz persönliche Hölle eingedrungen war und gegen ihren Willen ihre verborgenen Abgründe ans Licht gebracht hatte. Was hatte sie bei unserer ersten Sitzunggesagt? Ich brauche nicht selbst ein axtschwingender Mörder zu sein, um mit solchen Leuten umgehen zu können.
    Ich war mir ziemlich sicher, dass sie ihre schrecklichen Erlebnisse noch nie jemandem anvertraut hatte – jedenfalls nicht alles. Auch ich selbst wusste im Grunde nicht, was sich tatsächlich abgespielt hatte, denn ich hatte ja eingegriffen. Zum ersten Mal hatte ich mich aktiv in den Alptraum von jemand anderem eingemischt.
    Und das war die Lösung! Vorher war ich immer davon ausgegangen, dass ich mich mit der Rolle des Zuschauers begnügen musste, des untätigen Zeugen fremder Schreckensbilder. Ich förderte diese Bilder zutage und brachte sie zu Papier, aber ich hatte angenommen, ich sei nur ein ausführendes Organ. Irrtum. Ich konnte mich einmischen, womöglich sogar von Anfang an. Hatte nicht meine Wut Miss Stefancyzks und Tante Jeans schlimmste Alpträume erst an die Oberfläche befördert?
    In einer Therapiestunde hatte mir Dr. Rainier mal erklärt, dass geträumte Häuser immer den Träumer selbst symbolisieren. Jedes Zimmer verkörpert eine andere Seite der Persönlichkeit. Tja, ich war in den Keller hinuntergestiegen, wo die Alpträume hausen, und hatte es gewagt, mich einzumischen.
    Jetzt, wo ich wieder wach war, konnte ich handeln. Nein, ich musste handeln – und endlich die Wahrheit an den Tag bringen.
    Dr. Rainier räusperte sich, dann begann sie mit fester Stimme: »Ich will jetzt nicht meine ganze Vergangenheit vor euch ausbreiten, das … das würde zu weit führen. Aber ich kann Ihnen bestätigen, Hank, dass Christian recht hat.Mein Vater war ein Säufer und hat meine Mutter umgebracht. Mich hätte er auch getötet, aber ich habe mich im Kohlebehälter der Heizanlage versteckt. Dort hat mich ein Polizist gefunden.« Sie schloss die Augen und drückte die Knöchel an den Mund. »Wie oft habe ich das Ganze in Gedanken noch einmal durchgespielt! Wäre ich doch nur vor ihm an die Axt herangekommen …« Sie machte die Augen wieder auf. »Und jetzt hast du meine Wunschvorstellung sozusagen ausgelebt, Christian. Oder deine Hilfsbereitschaft hat über deinen gesunden Menschenverstand gesiegt, und du hast mich verteidigt. Aber das ändert jetzt leider auch nichts mehr.«
    »Nein. Was passiert ist, ist passiert.«
    Sie nickte bedächtig. »Immerhin wissen wir jetzt, dass du tatsächlich in die Gedankenwelt anderer Menschen eindringen kannst. Fragt sich nur, ob der Betreffende dafür unbedingt noch am Leben sein muss.«
    »Darüber habe ich auch schon nachgedacht. Ich glaube, ich bin mit David inzwischen so vertraut, dass ich mich auch aus eigener Kraft wieder in die Situation hineinversetzen kann. Vielleicht wollte er ja deswegen, dass ich die Pinsel seines Vaters an mich nehme … so ähnlich wie beim automatischen Schreiben.«
    »Stimmt – warum soll es eigentlich nicht auch ›automatisches Malen‹ geben.«
    »Ich glaub, ich hör nicht recht!«, fuhr Onkel Hank dazwischen. »Christian hat einen Alptraum gehabt, und daraufhin plant ihr beide eine spiritistische Sitzung?«
    »Das war kein gewöhnlicher Alptraum, Hank. Ich

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