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Der Zeichner der Finsternis

Der Zeichner der Finsternis

Titel: Der Zeichner der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilsa J. Bick
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Mutter sein könnte und was sie dort alles erlebt und sieht. Deswegen habe ich am Anfang immer ihre Augen gemalt. Wahrscheinlich bin ich inzwischen einfach weiter. Ich male die andere Seite, so wie ich sie mir denke.«
    »Aha.« Sie schwieg einen Augenblick. »Weißt du, Christian, deine Beschäftigung damit hat schon etwas leicht Zwanghaftes, aber ich finde dich ziemlich mutig.«
    »Echt? Inzwischen machen mir die Bilder eher Angst. Ich habe Angst um meine Eltern. Und noch mehr Angst habe ich davor, wo sie vielleicht sind. Ich weiß gar nicht mehr, ob ich wirklich zu ihnen will. Das wäre ja auch eine Art, immer nur um die Vergangenheit zu kreisen, oder?«
    »Ist dir schon mal der Gedanke gekommen, dass deine Eltern womöglich tot sind?«
    Es tat gar nicht so weh, wie ich immer befürchtet hatte. »Schon. Die andere Seite sieht ja nicht gerade aus wie von dieser Welt.«
    »Auch wieder wahr. Aber wenn du nun hinübergehst und deinem eigenen Schicksal begegnest?«
    Auf die Idee war ich noch gar nicht gekommen. »Meinen Sie … meinem eigenen Tod?«
    »Wer weiß? Ich kann deine Fähigkeiten immer noch nicht richtig einschätzen. Nehmen wir mal an, es wäre so. Möchtest du dann wirklich dorthin?«
    »Nicht gleich«, erwiderte ich wahrheitsgemäß.
    »Aber du warst schon in Versuchung.«
    »Ja.« Auch das entsprach der Wahrheit. Was ich als Nächstes sagte, allerdings nicht: »Aber ich habe ja sowieso keine Ahnung, wie ich das anstellen soll.«
    Sie schwieg. Wahrscheinlich glaubte sie mir nicht. Schließlich war ihr als Einzige aufgefallen, dass die Tür keine Klinke hatte. Onkel Hank hatte nie ein Wort über die Tür verloren.
    Wir fuhren schweigend weiter, dann sagte sie plötzlich: »Bitte versprich mir eins: Wenn du es irgendwann doch versuchst, sag mir vorher Bescheid. Abgemacht?«
    »Wozu?«
    »Weil es vielleicht gut ist, wenn jemand da ist, der dich wieder rausholen kann.«
    + + +
    Als sich der Wagen über den Feldweg der Scheune näherte, huschte das Scheinwerferlicht über den gemauerten Sockel. Nachts wirkte das Gebäude viel wuchtiger, und als wir schließlich anhielten und Dr. Rainier den Motor abstellte, schlug die Dunkelheit wie eine schwarze Welle über uns zusammen.
    Dr. Rainier kramte zwei Taschenlampen aus dem Handschuhfach und gab mir eine. Ihren Gesichtsausdruck konnteich im Dunkeln nicht erkennen. »Bist du ganz sicher, dass du das packst?«
    Ich nickte, doch dann fiel mir ein, dass sie mich genauso wenig sehen konnte, und ich sagte: »Ja. Es muss sein.«
    Wir gingen die letzten hundert Meter zu Fuß. Das Gerüst stand noch. Das feuchte Gras weichte meine Turnschuhe durch. Ich ließ den Strahl meiner Taschenlampe über die Scheune wandern, führte den bläulichen Lichtkegel die Wände entlang. Man sah immer noch die geisterhaften Umrisse eines Hakenkreuzes.
    »Wahnsinn!«, sagte Dr. Rainier im Flüsterton. »Sieh dir bloß das Dach an, Christian!«
    Krähen. Hunderte. Das ganze Dach war schwarz. Als der Lichtschein die Vögel erfasste, bewegten sie sich raschelnd wie welke Maisstängel. Ihre Augen glitzerten wie grünes Glas.
    »Die tun uns nichts«, sagte ich. »Kommen Sie. Wir gehen unten rein.«
    Dr. Rainier folgte mir. »Ist es dort passiert?«
    »Ich weiß noch, dass ich Pferde gehört habe. Und ich glaube, ich habe auch die Boxen gesehen. Nur an den Fußboden kann ich mich nicht mehr …«
    Der Fußboden bestand aus hochkant verlegten Ziegeln. Der Strahl meiner Taschenlampe streifte einen zerknitterten, halbleeren Sack Zementmix neben einer leeren Pferdebox. Unsere Schritte hallten. Hier unten war ich noch nicht gewesen. Ich staunte, dass die Pferdeboxen mit ihren Eisengittern noch so gut in Schuss waren. Es roch nach Rost. Mitten im Raum war die Treppe zum Heuboden und zum Turm. Zwei halb zerbrochene lange Leitern führten von gegenüberliegendenEcken aus zu einer viereckigen Öffnung in der Decke.
    Wir schritten den Raum diagonal ab. Am südlichen Ende bekam ich auf einmal eine Gänsehaut. Ich schwenkte die Taschenlampe nach links. Dort hing eine Tür schief in den Angeln. Ich drückte die Klinke herunter. Die Tür schleifte auf dem Fußboden und klemmte. Ich bekam sie trotzdem auf und leuchtete in den Verschlag dahinter, aber es gab nicht viel zu sehen: ein paar in die Wand geschlagene Nägel und Haken und in der Ecke eine kaputte Harke.
    »Ein Werkzeugraum?«, fragte Dr. Rainier.
    »Kann sein.« Ich spürte das vertraute Kribbeln, das mir verriet, dass dieser Ort wichtig war. Heugabel ,

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