Der Zeichner der Finsternis
der Kehle und knallt ihm die Faust ins Gesicht. Es knackt und knirscht wie eine zertretene Eierschale, und Eisenmanns Kopf fliegt nach hinten. Eine leuchtend rote Blutfontäne schießt ihm aus der Nase. Er wankt rückwärts, aber Witek kommt hinterher und holt mit der blutverschmierten Faust zum nächsten Schlag aus. Die Pferde wiehern und treten gegen die Boxenwände. Eisenmann spuckt Blut und röchelt: »Brotz … Br-Brotz, hilf mir … hilf …«
Witek schlägt abermals zu. Diesmal klingt es eher matschig,und Eisenmann taumelt rückwärts, bis er gegen eine Box prallt. Das Pferd schnaubt und schlägt aus. Es ist ein Höllenlärm.
Brotz erwacht aus seiner Betäubung, rennt zur Hoftür und brüllt: »Hilfe, Hilfe!«
Witek steht mit geballten Fäusten über Eisenmann, als könnte er nicht recht fassen, was passiert ist. Der Fabrikant stöhnt leise. Er ist kaum noch bei Bewusstsein. Sein Gesicht ist eine blutige Maske, auch sein Anzug ist voller Blut. Er fängt an zu würgen, und Witek kommt zur Besinnung.
»Oh Gott!« Er beugt sich über den Liegenden. »Ach, Marta … Mr Eisenmann, Mr …« Er wälzt Eisenmann auf die Seite. Eisenmann gurgelt dumpf und übergibt sich.
Und ich denke: Mordechai Witek, Davids Vater, hat Eisenmann soeben das Leben gerettet, sonst wäre er an seinem Erbrochenen erstickt.
Man hört Rufe und eilige Schritte. Brotz erscheint mit zwei anderen Männern in der Tür, und Witek schaut auf. Der eine Mann hat ein Stemmeisen in der Hand, der andere eine Taschenlampe.
Ich schnappe nach Luft. Ich erkenne die beiden auf Anhieb, weiß sogar, wie der eine heißt, weil ich seinen Namen in Witeks Skizzenbuch gelesen habe.
»Du hast ihn umgebracht!« Brotz weicht zurück. »Was hast du getan?«
Eisenmann liegt reglos in seinem Blut und sieht tatsächlich wie ein Toter aus, doch Witek sagt ruhig: »Ich habe ihn nicht umgebracht, aber wir müssen ihn ins Krankenhaus bringen. Wenn ihr mithelft, können wir ihn ins Auto tragen. Danach fahren wir zu Sheriff Cage.« Die beiden anderenMänner rühren sich nicht. »Mr Eisenmann braucht einen Arzt! Hilf du mir wenigstens, Brotz.«
Brotz schaut seine Begleiter an, dann setzt er sich widerstrebend in Bewegung. Die beiden Männer wechseln einen Blick, dann sagt der eine, dessen Namen ich nicht kenne – dafür kenne ich sein Gesicht und verstehe jetzt auch, weshalb ihn David immer den Zwilling nennt – in seinem akzentfreien Englisch: »Er lebt noch?«
Witek nickt knapp. Er beherrscht sich sichtlich, dann gewinnt der Ehrenmann in ihm die Oberhand. Er steht auf und sagt: »Du bist an allem schuld! Ja, ich habe Eisenmann so zugerichtet und werde auch die Folgen dafür tragen, aber du hast meine Tochter kompromittiert, ein Mädchen, das sich furchtbar leicht ausnutzen lässt, und das hier ist nun das Ergebnis! Ich hätte gar nicht zu Eisenmann gehen sollen, sondern gleich zu eurem Lagerleiter. Und das mache ich auch noch! Ich muss ins Gefängnis, aber vorher sorge ich noch dafür, dass du deine gerechte Strafe bekommst!«
»Das hättest du jetzt besser nicht gesagt«, erwidert sein Gegenüber, und ich begreife einen Sekundenbruchteil zu spät, was er vorhat.
»Achtung! Passen Sie auf, Mr Witek, das Stemmeisen …«
Natürlich hört mich keiner. Ich bin ja gar nicht da.
Das Stemmeisen fährt nieder. Witek hat keine Chance, und ich tröste mich mit dem Gedanken, dass er wahrscheinlich gar nichts mitkriegt.
Klonk macht es, und Witeks Schädel splittert über dem linken Ohr. Witek stößt ein ersticktes »Gah« aus, dann kippt er um und ist schon tot, bevor er auf dem blutverschmierten, kotzebespritzten Boden aufschlägt.
Mir entfährt ein Schrei.
Die Männer zucken zusammen. Haben sie mich etwa gehört? Nein, sie schauen zwar nach oben, aber nicht in meine Richtung. Ich folge ihren Blicken, und mir stockt das Herz: Bitte nicht …
In der Treppenöffnung schwebt das angstverzerrte Gesicht von David Witek.
»Papa!«, schreit er noch einmal mit hoher Kinderstimme, » Papa! «
Mordechai Witeks Mörder blafft etwas auf Deutsch, und sein Begleiter – der mit dem Hängelid und der halbmondförmigen Narbe auf der linken Wange – setzt sich in Gang.
»Lauf!«, rufe ich, obwohl es keinen Zweck hat. »Lauf weg, David, lauf!«
Davids Gesicht verschwindet, als hätte er mich gehört. Er rennt zu einer der beiden Leitern, gleichzeitig poltert der Mann, Daecher heißt er, die Treppe hoch.
»Was hast du mit ihm gemacht?« Brotz hat neben Eisenmann gekniet, aber
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