Der Zeichner der Finsternis
im Gesicht. »Sie haben doch keine Ahnung, was für ein Leben meine Familie und ich führen! Verglichen mit Ihnen sind wir arme Leute. Wir sind Juden, und jetzt hat meine Tochter auch noch …« Sein Gesicht verzerrt sich, ihm kommen die Tränen. Er ballt die Fäuste und fährt mit bebenden Lippen fort: »Die Ärmste ist doch schon so geschlagen, und jetzt …«
»Jetzt hat sie bewiesen, dass auch Jüdinnen nicht unfehlbar sind.«
»Sie wurde gezwungen !«
»Gezwungen?« Eisenmann lacht verächtlich. »Da habe ich aber etwas anderes gehört. Alle haben doch mitbekommen, wie sie Tag für Tag mit den andern Mädels am Tor herumgelungert hat. Sie hat freiwillig mitgemacht, das weißt du so gut wie ich. Von einer Hure unterscheidet sie nur, dass sie sich einbildet, sie sei verliebt. Tja, und da hat sie eben eine Sprache gewählt, die jeder versteht.«
Witek zuckt zurück, als hätte Eisenmann ihn geohrfeigt. Sogar Brotz, der mit offenem Mund zuhört, ist baff. Er wirft erst Witek einen besorgten Blick zu, dann dreht er sich nach der Tür um, die auf den Hof hinausgeht.
»Sei gefälligst dankbar, dass du noch in Lohn und Brot bist. Du kannst von Glück sagen, dass ich nicht Anderson Bescheid gebe und dich und deine Sippschaft auf die Straße setzen lasse. So – und jetzt gehst du am besten nach Hause, Witek, und erklärst deiner Frau und deiner Tochter, was wir hier besprochen haben.«
»Das Leben meiner Tochter ist verpfuscht«, sagt Witek beharrlich.
»Bei ihr hat die Natur doch sowieso gepfuscht. Aber zum Glück leben wir in modernen Zeiten. An besten schickst du sie hinterher einfach weg. Will sie nicht Dolmetscherin werden? Schick sie auf eine Schule in Chicago, New York oder San Francisco, wo keiner sie kennt. Da kann sie ein neues Leben anfangen … wenn auch kein jungfräuliches.« Eisenmanns Ton wird schneidend. »So. Damit wäre ja wohl alles geklärt.«
»Nein.« Witek tritt einen Schritt vor, bleibt wieder stehen und sagt: »Warten Sie … bitte …«
Eisenmann hört gar nicht hin, sondern schnippt mit den Fingern. »Du kannst den beiden sagen, sie sollen den Wagen holen, Brotz.«
»Warten Sie!« Es klingt wie ein Peitschenknall, und Brotz bleibt wie angewurzelt stehen. »Das ist doch nicht Ihr Ernst, dass die Sache damit aus der Welt ist! Das sind Nazis!«
Eisenmann entgegnet kühl: »Ach ja? Jetzt übertreib mal nicht, Witek. Es sind Soldaten. Zugegeben, deutsche Soldaten, aber keine Nazis. Keiner von denen war in der Partei.«
»Glauben Sie, die würden das zugeben?«
»Wenn sie in der Partei gewesen wären, hätte man sie bestimmt nicht hierher geschickt. Die meisten Deutschen wurden einfach zum Militär eingezogen, wie unsere Soldaten auch. Man kann sie nicht für das verantwortlich machen, was ihre Vorgesetzten angerichtet haben.«
»Aber sie haben mein Volk umgebracht, meine Eltern …!« Witek weint jetzt vor Wut.
»Das hat deine Tochter aber nicht abgeschreckt, stimmt’s? Sie hat für den Feind die Beine breit gemacht, und jetzt wirst du stolzer Opa eines deutschen Bastards. Passt doch, oder?«
»Mr Eisenmann …«, sagt Brotz zaghaft.
Eisenmann fährt herum. »Ja bitte? Möchtest du auch deinen Senf dazugeben? Wieso bist du überhaupt noch hier? Hol das verdammte Auto!«
»S-selbstverständlich, Mr Eisenmann«, stammelt Brotz. »Ich da-dachte n-nur, d-dass …«
Charles Eisenmann ist jetzt puterrot im Gesicht. »Es istmir scheißegal, was du oder sonst wer denkt! Hol endlich das Auto!«
Die Luft ist geladen. Die Pferde stampfen in ihren Boxen und wiehern leise. Man hört Eisenmanns Hass und seine Verachtung für Witek förmlich knistern. Trotzdem – ich kann nur zuschauen, kann nur Zeuge sein. Und doch spüre ich jedes Wort wie einen Schlag, so wie Eisenmann es beabsichtigt. Ich denke an den alten Eisenmann, den ich kenne, den mit der Wasserspeierfratze und der goldenen Uhrkette. Der Mann unter mir ist noch viel, viel abstoßender.
Witek lässt sich nicht beirren. »Irgendwer muss doch die Verantwortung übernehmen!«
»Das überlass ruhig mir – ich kümmere mich schon um den Burschen«, erwidert Eisenmann. »Nur zu, mach einen Aufstand, tritt einen Skandal los! Damit erreichst du gar nichts, und hinterher ist auch noch dein eigener Ruf im Eimer. Ich lasse mir doch von dir nichts vorschreiben! Ob und wann ich jemanden zur Rechenschaft ziehe, ist meine Sache, nicht deine, und …«
Mit einem Schrei stürzt sich Witek auf den völlig überrumpelten Eisenmann, packt ihn an
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