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Der Zeichner der Finsternis

Der Zeichner der Finsternis

Titel: Der Zeichner der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilsa J. Bick
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jetzt ist er aufgestanden und geht langsam rückwärts. »Bist du verrückt geworden?«
    »Immer mit der Ruhe, Brotz«, sagt Witeks Mörder. Als er einen Schritt vortritt, duckt sich Brotz und der Mann lacht. »Was ist denn? Stört dich das Stemmeisen? Ist ja gut.« Er wirft das Stemmeisen weg. »Ich hab nur für den Chef ein Problem aus der Welt geschafft.«
    »Aber … Aber du hast …«
    »Sonst hätte er den Chef umgebracht, stimmt’s?« Der Zwilling schaut zur Treppe, wo Daecher wieder auftaucht, den strampelnden, um sich schlagenden David wie einen Mehlsack unter den Arm geklemmt. Der Zwilling wendetsich wieder an Brotz. »Tut mir leid, dass du das mit ansehen musstest.«
    Brotz fährt sich blinzelnd durchs Haar. »Ich …«, setzt er an – weiter kommt er nicht.
    Wie schon eben ist der Mann unglaublich flink. Ohne den Blick von seinem Gegenüber zu wenden, schnappt er sich blitzschnell die Heugabel, fasst sie mit beiden Händen und stößt zu wie ein Ritter mit seiner Lanze.
    Die Zinken bohren sich in Brotz’ Brust. Brotz stößt einen schrillen Schrei aus, dann treten die Zinken auf seinem Rücken wieder aus, und der Angreifer drückt sie ächzend noch weiter hinein. Brotz wankt rückwärts, die Zinken bohren sich in die Pferdebox hinter ihm und heften ihn an die Bretter wie einen aufgespießten Käfer.
    Er lebt noch, seine Augen quellen aus den Höhlen, er tastet nach den Zinken. Sein Mund öffnet sich, ein Blutschwall schießt heraus, er zuckt noch einmal krampfhaft – und ist tot.
    Der Angreifer lässt die Heugabel los. Er atmet schwer. Es riecht betäubend nach Blut, und die Pferde schnauben unruhig. Daecher dreht David die Arme auf den Rücken. Der Junge schluchzt und wimmert, wehrt sich aber nicht mehr.
    Der liegende Eisenmann gibt ein langgezogenes Stöhnen von sich.
    Der schaurige Laut holt den Zwilling wieder in die Gegenwart zurück. Er blickt Daecher an und zeigt auf David. »War er allein da oben?«
    Daecher nickt. »Wir müssen …«
    »Vergiss es. Ein kleiner Junge … das können wir niemandem erklären.«
    »Aber die Frauen unten im Haus, die haben den Lärm bestimmt gehört!«
    »Keine Sorge. Die hören nichts.« Der Zwilling geht vor David in die Hocke und packt den Jungen am Kinn. »Sieh mich an«, befiehlt er. »Sieh mich an und hör auf zu heulen.«
    David gehorcht. Ihm rollen noch dicke Tränen über die Wangen, aber er ist mucksmäuschenstill.
    »Jetzt hör mir mal gut zu«, sagt der Zwilling. »Wenn du auch nur ein Wort von dem verrätst, was du hier gesehen hast, komm ich zu euch und bringe deine Mutter um – und du musst zuschauen. Danach bringe ich deine Schwester um – und du musst zuschauen. Und danach drücke ich dir die Augen ein, schneide dir die Ohren ab und reiße dir die Zunge raus. Und zum Schluss bringe ich dich auch noch um. Hast du mich verstanden? Kein … Wort!«
    (… sie halten mir den Mund zu … )
    Daraufhin ist David stumm geworden, geht es mir durch den Kopf. Der weinende Junge nickt.
    »Ich bin trotzdem dafür, ihn kaltzumachen«, knurrt Daecher.
    »Nicht nötig.« Der Zwilling steht auf. »Ich weiß etwas Besseres.«
    Ich begreife sofort, was er meint: das Sternbild der Zwillinge, Kastor und Pollux – der eine sterblich, der andere nicht.
    Er beugt sich über Eisenmann, der sich wieder regt und allmählich zu sich kommt.
    »Beeil dich!«, sagt Daecher.
    »Mach ich«, sagt der Zwilling. Er geht in den Werkzeugverschlag und kommt mit einem Getreidemesser in der Hand wieder heraus.
    Die Klinge ist über dreißig Zentimeter lang, wie bei einer Machete, nur dass das Ende nicht spitz ausläuft. Der Griff ist dunkel vom jahrzehntelangen Gebrauch.
    David erstarrt, als er den Mann mit dem Messer auf sich zukommen sieht. Aber der Zwilling lächelt ihn strahlend an und fährt ihm sogar spielerisch durchs Haar. »Keine Bange.« Er lacht leise. »Das ist nicht für dich.«
    Er kehrt dem Jungen den Rücken zu, beugt sich über Eisenmann und macht sich ans Werk.
    Ich kann nur zuschauen. Ich sehe alles – und dann zieht es mir den Boden unter den Füßen weg. Mir fällt ein, was Dr. Rainier über ganz persönliche Höllen gesagt hat. Wenn dieses Erlebnis Davids ganz persönliche Hölle ist, dann habe ich jetzt teil an den Schrecken, die er sein Leben lang immer wieder durchmachen musste.
    Die Erde unter mir tut sich auf, Dunkelheit umfängt mich, und ich falle und falle
    … in eine gnädige Ohnmacht.

XXXI
    Irgendwann – mir kam es ewig vor, aber wahrscheinlich

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