Der Zeitdieb
den breiten Straßen auf. Guten… Tag. Ich bin Myria LeJean. Ich weiß, wer du bist, Susanne Sto Helit. Den jungen Mann kenne ich nicht, was mich überrascht. Vermutlich bist du hier, um die Uhr zu zerstören.«
»Um sie anzuhalten«, erwiderte Lobsang.
» Moment mal«, sagte Susanne. »Dies ergibt doch überhaupt keinen Sinn. Revisoren hassen alles Lebendige. Und du bist ein Revisor.«
»Ich habe keine Ahnung, was ich bin«, seufzte Lady LeJean. »Ich weiß nur eins: Derzeit bin ich alles, was ein Revisor nicht sein sollte. Wir… sie… Wir müssen aufgehalten werden!«
»Mit Schokolade?«, fragte Susanne.
»Der Geschmackssinn ist neu für uns. Neu und fremdartig. Wir sind ihm wehrlos ausgeliefert.«
»Aber… Schokolade?«
»Ein trockener Keks hätte mich fast umgebracht«, sagte Ihre Ladyschaft. »Susanne, kannst du dir vorstellen, wie es ist, zum ersten Mal etwas zu schmecken? Wir haben unsere Körper gut konstruiert. O ja. Jede Menge Geschmacksknospen. Selbst Wasser schmeckt wie Wein. Aber Schokolade… Alle Gedanken finden ein Ende. Es gibt nur noch den Geschmack.« Sie seufzte. »Ich schätze, es ist eine wundervolle Art zu sterben.«
»Auf dich scheint es keinen Einfluss zu haben«, meinte Susanne argwöhnisch.
»Die Tücher vor Mund und Nase, und die Handschuhe«, sagte Lady LeJean. »Und selbst dann fällt es mir sehr schwer, der Versuchung zu widerstehen. Oh, wo habe ich nur meine Manieren gelassen? Bitte nehmt Platz. Zieht euch ein Kind heran.«
Lobsang und Susanne wechselten einen Blick. Lady LeJean bemerkte ihn.
»Habe ich etwas Falsches gesagt?«, fragte sie.
»Wir benutzen Personen nicht als Möbel«, sagte Susanne.
»Aber sie merken doch gar nichts davon«, erwiderte Ihre Ladyschaft.
» Wir merken es«, meinte Lobsang. »Und genau das ist der Punkt.«
»Ah. Ich muss noch so viel lernen. In der Existenz als Mensch gibt es so viel… Kontext. Was dich betrifft… Kannst du die Uhr anhalten?«
»Ich weiß nicht, wie ich es anstellen soll«, entgegnete Lobsang. »Und gleichzeitig habe ich das Gefühl, dass ich darüber Bescheid wissen sollte. Ich werde es versuchen.«
»Ich nehme an, der Konstrukteur der Uhr verfügt über die notwendigen Informationen. Er ist hier.«
» Wo ?«, fragte Susanne.
»Am Ende des Ganges dort«, antwortete Lady LeJean.
»Hast du ihn hierher getragen?«
»Er konnte kaum aus eigener Kraft gehen. Er wurde im Kampf verletzt.«
»Was?«, brachte Lobsang hervor. »Wie konnte er überhaupt gehen? Wir befinden uns außerhalb der Zeit!«
Susanne holte tief Luft. »Er trägt seine eigene Zeit, so wie du«, sagte sie. »Er ist dein Bruder.«
Und damit log sie. Aber er war noch nicht bereit für die Wahrheit. Sein Gesichtsausdruck wies darauf hin, dass er nicht einmal für die Lüge bereit war.
»Zwillinge«, sagte Frau Ogg. Sie griff nach dem Brandyglas, betrachtete es und setzte es wieder ab.
»Es gab nicht nur einen Jungen. Es waren zwei, Zwillinge. Allerdings…«
Sie sah Susanne an, und ihr Blick war eine thermische Lanze. »Du denkst wahrscheinlich, diese Hebamme ist ein altes Muttchen«, sagte sie. »Du denkst, was weiß sie schon?«
Susanne war so freundlich, nicht zu lügen. »Ein Teil von mir dachte das tatsächlich«, räumte sie ein.
»Gute Antwort! Ein Teil von uns denkt alle Arten von Dingen«, meinte Frau Ogg. »Ein Teil von mir denkt, wer ist dieses überhebliche Fräulein, das so mit mir spricht, als wäre ich ein fünfjähriges Mädchen? Aber der größte Teil von mir denkt: Sie hat einen Haufen Probleme und viele Dinge gesehen, die ein Mensch nicht sehen sollte. Ein anderer Teil von mir denkt: Das gilt auch für mich. Weil wir Dinge sehen, die ein Mensch nicht sehen sollte, werden wir zu Menschen. Nun, Fräulein… Wenn du einigermaßen vernünftig bist, denkt ein Teil von dir: Dort sitzt eine Hexe vor mir, die meinen Großvater oft gesehen hat, weil sie an vielen Krankenbetten saß, die plötzlich zu Todesbetten wurden, und sie ist bereit, ihm ins Auge zu spucken, wenn ihre Zeit kommt, und sie könnte mir eine Menge Ärger machen, wenn das ihre Absicht wäre.
Verstanden? Ich schlage vor, wir behalten alle unsere Teile für uns.« Sie zwinkerte Susanne zu. »Sagte der Hohepriester zur Schauspielerin.«
»Da bin ich voll und ganz deiner Meinung«, erwiderte Susanne.
»Na schön«, sagte Frau Ogg. »Also… Zwillinge… Nun, es war ihr erstes Mal, und mit der menschlichen Gestalt war sie nicht sonderlich vertraut, ich meine, man kann
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