Der Zeitdieb
Ticken zu suchen.«
»Woher weißt du, dass es Mann mit großem Feigenblatt ist?«
»Zufälligerweise erinnere ich mich daran, wo das Bild hing.«
»Bist du eine, äh, Kunstliebhaberin?«, erkundigte sich Lobsang.
»Ich weiß, was mir gefällt«, sagte Susanne und starrte weiter zu den grauen Männern und Frauen. »Und derzeit würden mir Waffen gefallen.«
»Wir sollten uns besser in Bewegung setzen…«
»Die Mistkerle schleichen sich einem in den Kopf, wenn man ihnen Gelegenheit dazu gibt«, fuhr Susanne fort, ohne sich von der Stelle zu rühren. »Wenn man denkt ›Es sollte ein Gesetz geben‹ oder ›Ich bin nicht für die Regeln verantwortlich‹ oder…«
»Wir sollten diesen Ort jetzt wirklich verlassen«, sagte Lobsang behutsam. »Und zwar deshalb, weil einige von ihnen die Treppe hochkommen.«
Susanne drehte ruckartig den Kopf. »Was stehst du dann noch hier herum?«
Sie eilten durch den nächsten Torbogen, hasteten durch eine Galerie mit Tonwaren und drehten sich erst um, als sie deren Ende erreichten. Drei Revisoren folgten ihnen. Sie liefen nicht, aber ihre synchronen Schritte hatten eine grässliche Uns-hält-nichts-auf-Qualität.
»Na schön, in diese Richtung…«
»Nein, in diese Richtung«, sagte Lobsang.
»Das ist die falsche Richtung!«, erwiderte Susanne scharf.
»Aber auf dem Schild steht ›Waffen und Rüstungen‹!«
»Und kannst du mit Waffen umgehen?«
»Nein!«, antwortete Lobsang stolz und begriff dann, dass Susanne ihn falsch verstand.
»Weißt du, man hat mich gelehrt, ohne Waffen…«
»Vielleicht gibt es dort ein Schwert, das ich einsetzen kann«, knurrte Susanne und ging los.
Als die Revisoren die Galerie betraten, waren es mehr als drei. Die graue Gruppe zögerte.
Susanne hatte tatsächlich ein Schwert gefunden – es gehörte zur Ausrüstung einer Puppe, die einen achatenen Krieger darstellte. Die Klinge war stumpf, aber Zorn blitzte daran entlang.
»Sollen wir erneut loslaufen?«, fragte Lobsang.
»Nein. Früher oder später würden sie uns einholen. Ich weiß nicht, ob wir sie töten können, aber eins steht fest: Wir können dafür sorgen, dass sie sich den Tod wünschen. Hast du noch immer keine geeignete Waffe gefunden?«
»Nein, weil, weißt du, ich bin daran gewöhnt, ohne…«
»Dann komm mir nicht in den Weg, klar?«
Die Revisoren näherten sich vorsichtig, und das fand Lobsang seltsam.
»Wir können sie nicht töten?«, erkundigte er sich.
»Kommt darauf an, wie lebendig sie inzwischen geworden sind.«
»Sie scheinen sich zu fürchten«, stellte Lobsang fest.
»Weil sie die Gestalt von Menschen haben«, sagte Susanne über die Schulter hinweg. »Menschliche Körper. Perfekte Kopien. Seit vielen Jahrtausenden steckt in menschlichen Körpern der Wunsch, nicht in Stücke geschnitten zu werden. Das überträgt sich aufs Gehirn.«
Die Revisoren kamen noch näher. Natürlich würden sie alle gleichzeitig angreifen. Niemand wollte der Erste sein.
Drei sprangen Lobsang entgegen.
In den Ausbildungsdojos hatte er gern gekämpft. Dabei trugen natürlich alle Schutzkleidung, und niemand versuchte, jemand anderen zu töten, was zweifellos beruhigend war. Lobsang hatte dabei gute Leistungen gezeigt, weil er es ausgezeichnet verstand, die Zeit zu schneiden. Das gab ihm stets einen Vorteil. Und wenn einem solche Vorteile zur Verfügung standen, benötigte man kein wirkliches Kampfgeschick.
Doch hier gab es keine Zeit, die sich schneiden ließ.
Er setzte eine Mischung aus Sna-fu, Okidoki und allen anderen funktionierenden Techniken ein, denn wenn man bei einem richtigen Kampf so vorging wie im Dojo, war man so gut wie tot. Die grauen Leute stellten eigentlich gar keine richtigen Gegner dar – sie versuchten nur, ihn zu packen und festzuhalten. Eine Oma hätte sie abwehren können.
Einige rasche Hiebe ließen zwei Gegner zurücktaumeln, und Lobsang wandte sich dann dem dritten zu, der versuchte, ihn am Hals zu packen. Er befreite sich aus dem Griff, wirbelte herum, holte aus… und zögerte.
»Oh, meine Güte!«, erklang eine Stimme.
Susannes Schwert wirbelte an Lobsangs Gesicht vorbei.
Der Kopf des dritten Gegners wurde vom Körper getrennt, aber es spritzte kein Blut. Stattdessen stieg bunter Staub auf. Der Leib löste sich auf und wurde zu einer in der Luft schwebenden grauen Kutte, die sofort verschwand.
Lobsang hörte, wie es hinter ihm zweimal dumpf pochte, dann griff Susanne nach seiner Schulter.
»In einem Kampf darf man nicht zögern !«,
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