Der Zeitdieb
kurz einen Zentimeter über dem Boden. Aber nur für einen Moment – dann sank sie nach unten. Niemand außer Igor, der argwöhnisch durch den Türspalt spähte, konnte es bemerkt haben.
Er hastete in die Werkstatt zurück. Jeremy stand dort wie angenagelt, und seine Wangen glühten ebenso rot wie zuvor die der Lady.
»Ich gehe schnell lof und hole die fehlenden Glafteile, Herr«, sagte Igor. »Fie müfften jetzt fertig fein. In Ordnung?«
Jeremy drehte sich abrupt um und ging sehr schnell zur Werkbank.
»Ja, Igor, geh nur, danke«, sagte er, und seine Stimme klang ein wenig gedämpft.
Lady LeJean und die beiden Trolle schritten weiter unten über die Straße, als Igor das Haus verließ und durch die Schatten huschte.
An der Kreuzung winkte Ihre Ladyschaft vage, woraufhin die Trolle fortwankten. Igor behielt die Lady weiter im Auge. Trotz des traditionellen Hinkens konnten Igors sehr schnell sein, wenn es darauf ankam. Das war oft nötig, wenn der Mob das Haus stürmte. 11
Hier draußen fielen ihm noch mehr Dinge auf, die nicht stimmten. Lady LeJean bewegte sich nicht ganz richtig. Sie schien ihren Körper zu kontrollieren, anstatt die Kontrolle ihm selbst zu überlassen, wie es Menschen taten. Selbst Zombies bekamen nach einer Weile den Dreh raus. Es war ein subtiler Unterschied, aber Igors hatten gute Augen. Die Lady bewegte sich wie jemand, der nicht daran gewöhnt war, Haut zu tragen.
Ihre Ladyschaft ging eine schmale Straße hinab, und Igor wünschte sich fast, dass sich ein Mitglied der Diebesgilde in der Nähe aufhielt. Wie hätte die seltsame Frau wohl auf einen leichten Schlag gegen den Kopf reagiert? Auf diese Weise leiteten Diebe Verhandlungen ein. Am vergangenen Tag hatte es einer bei Igor versucht, und der Mann war vom metallenen Klang überrascht gewesen. Sein Erstaunen hatte einen recht schmerzlichen Aspekt dazu gewonnen, als er erleben musste, wie sein Arm gepackt und mit anatomischer Präzision gebrochen wurde.
Die Frau betrat eine Gasse zwischen zwei Gebäuden.
Igor zögerte. Sich im hellen Tageslicht vor dem Zugang einer dunklen Gasse zu zeigen – das war ein Punkt auf der lokalen Checkliste des Todes. Andererseits… Er stellte schließlich nichts Unrechtes an. Und Ihre Ladyschaft schien nicht bewaffnet zu sein.
In der Gasse waren keine Geräusche von Schritten zu hören. Igor wartete einige Sekunden und schob dann den Kopf um die Ecke.
Von Lady LeJean war nichts zu sehen. Und es gab keinen anderen Weg aus der Gasse – sie endete an einer hohen Mauer, vor der sich Abfälle angesammelt hatten.
Igor bemerkte einen verblassenden grauen Schemen in der Luft: ein Kapuzenmantel, grau wie Nebel. Er löste sich in der Düsternis auf und verschwand.
Die Frau hatte die Gasse betreten und sich… verwandelt.
Igor spürte, wie seine Hände zuckten.
Einzelne Igors verfügten über individuelle Fähigkeiten, aber sie alle waren geschickte Chirurgen, die es verabscheuten, wenn etwas vergeudet wurde. Oben in den Bergen, wo es hauptsächlich für Holzfäller und Bergleute Arbeit gab, freute man sich, wenn ein Igor in der Nähe wohnte. Es bestand immer die Gefahr, dass eine Axt abprallte oder ein Sägeblatt nicht an der richtigen Stelle sägte, und in solchen Fällen war es gut, einen Igor in der Nähe zu wissen, der einem mit einer Hand oder vielleicht auch einem ganzen Arm aushelfen konnte.
Während die Igors ihre Kunst großzügig in der Gemeinschaft praktizierten, machten sie unter sich selbst noch sorgfältigeren Gebrauch davon. Wundervolle Augen, ein ordentliches Paar Lungen, ein gut funktionierendes Verdauungssystem… Wie schrecklich war die Vorstellung, solche prächtigen Dinge den Würmern zu überlassen. Und deshalb sorgten die Igors dafür, dass sie in der Familie blieben.
Igor hatte die Hände seines Großvaters. Und die ballten sich jetzt von ganz allein zu Fäusten.
Tick
Ein kleiner Kessel stand auf einem Feuer aus Holzspänen und Yak-Dung.
»Es war… vor langer Zeit«, sagte Lu-Tze. »Der genaue Zeitpunkt spielt keine Rolle, wegen der Dinge, die geschahen. Es ergibt überhaupt keinen Sinn mehr, nach dem ›Wann‹ zu fragen. Es hängt ganz vom jeweiligen Ort ab. An einigen Stellen passierte es vor Jahrhunderten. Woanders… ist es vielleicht noch gar nicht passiert. Nun, jemand in Überwald… erfand eine Uhr. Eine erstaunliche Uhr. Sie maß das Ticken des Universums. Weißt du, was das ist?«
»Nein.«
»Ich auch nicht. Der Abt kennt sich mit solchen Dingen aus.
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