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Der Zeitdieb

Der Zeitdieb

Titel: Der Zeitdieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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Struktur zerbrach. Es war die einzige Sache, die zerbrechen konnte. Eine sehr seltsame Angelegenheit. Überall bildeten sich Risse. Die – oh, ich erinnere mich nicht an die richtigen Bezeichnungen – Verschlüsse, die Teilen der Vergangenheit mitteilten, zu welchen Teilen der Gegenwart sie gehörten, lösten sich und flatterten überall herum. Einige gingen für immer verloren.« Lu-Tze starrte in die kleiner werdenden Flammen des Feuers. »Wir flickten alles, so gut wir konnten«, fügte er hinzu. »Überall in der Geschichte. Wir stopften Löcher mit Zeit von woanders. Eigentlich ist alles ein großes Flickwerk.«
    »Haben die Leute nichts gemerkt?«
    »Warum sollten sie? Als wir fertig waren, gab es nie eine andere Geschichte. Du würdest staunen, womit wir durchgekommen sind. Zum Beispiel…«
    »Ich bin sicher, dass man es irgendwie bemerken könnte.«
    Lu-Tze warf Lobsang einen kurzen Blick zu. »Komisch, dass du das sagst. Ich habe oft darüber nachgedacht. Man hört immer wieder Bemerkungen wie ›Wo ist nur die Zeit geblieben?‹ und ›Es scheint erst gestern gewesen zu sein.‹ Nun, uns blieb keine Wahl, und es ist alles ganz gut verheilt.«
    »Aber die Leute brauchen doch nur in den Geschichtsbüchern nachzusehen und…«
    »Worte, Junge. Es sind nur Worte. Außerdem haben die Leute mit der Zeit herumgepfuscht, seit sie Leute sind. Sie haben sie vergeudet, vertrieben, gespart und sich genommen. Und das geschieht noch immer. Die Köpfe der Leute sind dazu geschaffen, mit der Zeit zu spielen. So wie wir. Mit dem Unterschied, dass wir besser ausgebildet sind und über einige zusätzliche Fähigkeiten verfügen. Wir verbrachten Jahrhunderte damit, alles wieder in Ordnung zu bringen. Sieh dir die Zauderer an einem ruhigen Tag an. Sie bewegen die Zeit, dehnen sie hier, komprimieren sie dort… Eine großartige Sache. Ich möchte nicht erleben, wie erneut alles dem Chaos anheim fällt. Beim zweiten Mal bleibt vermutlich nicht genug für eine Reparatur übrig.«
    Lu-Tze starrte in die glühende Asche. »Komisch«, sagte er. »Wen hatte zum Schluss einige sonderbare Vorstellungen in Bezug auf die Zeit. Er schrieb einige wundersame Dinge. Er hielt die Zeit für lebendig. Er meinte, sie verhielte sich wie ein lebendes Wesen. Sehr seltsame Vorstellungen. Er behauptete sogar, der Zeit begegnet zu sein. Angeblich ist sie eine Frau. Zumindest war sie es für ihn. Alle glauben, dass es eine sehr komplexe Metapher ist, und vielleicht traf mich etwas am Kopf, aber an jenem Tag sah ich die Glasuhr, als sie explodierte, und…«
    Er stand auf und griff nach dem Besen.
    »Die Beine unter die Arme genommen, Junge. Noch einmal zwei oder drei Sekunden, und wir sind unten in Bamm Futsch.«
    »Was wolltest du eben sagen?«, fragte Lobsang und stand auf.
    »Oh, es ist nur das wirre Gerede eines Alten«, erwiderte Lu-Tze. »Wenn man über siebenhundert Jahre alt ist, lässt man gelegentlich die Gedanken treiben. Komm jetzt.«
    »Kehrer?«
    »Ja, Junge?«
    »Warum tragen wir Dreher auf dem Rücken?«
    »Alles zu seiner Zeit, Junge. Hoffe ich.«
    »Wir tragen Zeit, nicht wahr? Damit wir in Bewegung bleiben können, wenn die Zeit anhält, stimmt’s? Wie… Taucher?«
    »Gut überlegt.«
    »Und…?«
    »Noch eine Frage?«
    »Die Zeit ist eine ›Sie‹? Die Lehrer haben das nie erwähnt, und auch in den Schriftrollen steht nichts darüber geschrieben.«
    »Was eigentlich kein Wunder ist. Wen schrieb auch eine… Nun, man nennt sie die ›Geheime Schriftrolle‹. Sie wird in einem verschlossenen Zimmer aufbewahrt. Nur die Äbte und ranghöchsten Mönche bekommen sie jemals zu Gesicht.«
    Dabei konnte es Lobsang nicht bewenden lassen. »Und woher weißt du…«, begann er.
    »Von solchen Männern kann man doch nicht erwarten, dass sie selbst in dem Zimmer fegen«, bemerkte Lu-Tze. »Es war ziemlich staubig dort drin.«
    »Wovon berichtet die Schriftrolle?«
    »Ich habe nicht viel gelesen«, sagte Lu-Tze. »Es fühlte sich nicht richtig an.«
    »Tatsächlich? Und was hast du gelesen?«
    »Ein Liebesgedicht. Und ein ziemlich gutes…«
    Lu-Tzes Gestalt verschwamm, als er die Zeit schnitt, verblasste und verschwand dann ganz. Fußabdrücke erschienen im Schnee.
    Lobsang wickelte die Zeit um sich und folgte dem Kehrer. Eine Erinnerung erschien aus dem Nichts: Wen hatte Recht.
     
    Es gab viele Orte wie das Lagerhaus. Sie standen in jeder alten Stadt, ganz gleich, wie teuer Bauland ist. Manchmal ging Platz einfach verloren.
    Eine Werkstatt

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