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Der Zeitdieb

Der Zeitdieb

Titel: Der Zeitdieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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bist ein Revisor. Warum sollte
    ich dir vertrauen?«
    »Weil es hier sonst niemanden gibt.«
    »Aber du gehörst zu ihnen «, sagte Susanne. »Ich spüre es, obwohl du all das… Zeug trägst.«
    »Ich gehörte zu ihnen«, korrigierte Lady LeJean. »Ich glaube, jetzt
    gehöre ich mir.«

    Menschen lebten auf dem Dachboden. Eine ganze Familie hatte sich hier niedergelassen. Susanne fragte sich, ob ihre Anwesenheit offiziell oder inoffiziell war. Vielleicht betraf sie das Stadium dazwischen, das in Ankh-Morpork fast die Norm darstellte – immerhin herrschte in der Stadt ein permanenter Mangel an Wohnraum. Ein großer Teil des Lebens fand auf
    der Straße statt, weil es sonst nirgends Platz dafür gab. Ganze Familien existierten im Schichtbetrieb, damit die Betten rund um die Uhr genutzt werden konnten. Allem Anschein nach hatten die Wärter, die für
    Caravatis Drei große rosarote Frauen und ein Stück Gaze zuständig waren, ihre Angehörigen auf dem weiten Dachboden des Museums untergebracht.
    Die Retterin hatte sich ihnen einfach hinzugesellt. Eine Familie –
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    beziehungsweise eine Schicht – saß auf Bänken am Tisch, in Zeitlosigkeit erstarrt. Lady LeJean nahm den Hut ab, hängte ihn an die Mutter und
    schüttelte ihr Haar. Dann löste sie die dicken Tücher von Mund und
    Nase.
    »Hier sind wir relativ sicher«, sagte sie. »Die meisten halten sich
    draußen auf den breiten Straßen auf. Guten… Tag. Ich bin Myria
    LeJean. Ich weiß, wer du bist, Susanne Sto Helit. Den jungen Mann
    kenne ich nicht, was mich überrascht. Vermutlich bist du hier, um die Uhr zu zerstören.«
    »Um sie anzuhalten«, erwiderte Lobsang.
    » Moment mal«, sagte Susanne. »Dies ergibt doch überhaupt keinen Sinn.
    Revisoren hassen alles Lebendige. Und du bist ein Revisor.«
    »Ich habe keine Ahnung, was ich bin«, seufzte Lady LeJean. »Ich weiß nur eins: Derzeit bin ich alles, was ein Revisor nicht sein sollte. Wir…
    sie… Wir müssen aufgehalten werden!«
    »Mit Schokolade?«, fragte Susanne.
    »Der Geschmackssinn ist neu für uns. Neu und fremdartig. Wir sind
    ihm wehrlos ausgeliefert.«
    »Aber… Schokolade?«
    »Ein trockener Keks hätte mich fast umgebracht«, sagte Ihre
    Ladyschaft. »Susanne, kannst du dir vorstellen, wie es ist, zum ersten Mal etwas zu schmecken? Wir haben unsere Körper gut konstruiert. O ja.
    Jede Menge Geschmacksknospen. Selbst Wasser schmeckt wie Wein.
    Aber Schokolade… Alle Gedanken finden ein Ende. Es gibt nur noch
    den Geschmack.« Sie seufzte. »Ich schätze, es ist eine wundervolle Art zu sterben.«
    »Auf dich scheint es keinen Einfluss zu haben«, meinte Susanne
    argwöhnisch.
    »Die Tücher vor Mund und Nase, und die Handschuhe«, sagte Lady
    LeJean. »Und selbst dann fällt es mir sehr schwer, der Versuchung zu widerstehen. Oh, wo habe ich nur meine Manieren gelassen? Bitte nehmt Platz. Zieht euch ein Kind heran.«
    Lobsang und Susanne wechselten einen Blick. Lady LeJean bemerkte
    ihn.
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    »Habe ich etwas Falsches gesagt?«, fragte sie.
    »Wir benutzen Personen nicht als Möbel«, sagte Susanne.
    »Aber sie merken doch gar nichts davon«, erwiderte Ihre Ladyschaft.
    » Wir merken es«, meinte Lobsang. »Und genau das ist der Punkt.«
    »Ah. Ich muss noch so viel lernen. In der Existenz als Mensch gibt es so viel… Kontext. Was dich betrifft… Kannst du die Uhr anhalten?«
    »Ich weiß nicht, wie ich es anstellen soll«, entgegnete Lobsang. »Und gleichzeitig habe ich das Gefühl, dass ich darüber Bescheid wissen sollte.
    Ich werde es versuchen.«
    »Ich nehme an, der Konstrukteur der Uhr verfügt über die
    notwendigen Informationen. Er ist hier.«
    » Wo ?«, fragte Susanne.
    »Am Ende des Ganges dort«, antwortete Lady LeJean.
    »Hast du ihn hierher getragen?«
    »Er konnte kaum aus eigener Kraft gehen. Er wurde im Kampf
    verletzt.«
    »Was?«, brachte Lobsang hervor. »Wie konnte er überhaupt gehen?
    Wir befinden uns außerhalb der Zeit!«
    Susanne holte tief Luft. »Er trägt seine eigene Zeit, so wie du«, sagte sie. »Er ist dein Bruder.«
    Und damit log sie. Aber er war noch nicht bereit für die Wahrheit. Sein Gesichtsausdruck wies darauf hin, dass er nicht einmal für die Lüge
    bereit war.

    »Zwillinge«, sagte Frau Ogg. Sie griff nach dem Brandyglas, betrachtete es und setzte es wieder ab.
    »Es gab nicht nur einen Jungen. Es waren zwei, Zwillinge. Allerdings…«
    Sie sah Susanne an, und ihr Blick war eine thermische Lanze. »Du denkst wahrscheinlich, diese

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