Der Zeitdieb
wer
gewonnen hatte.
Vorn schimmerte hellblaues Licht, hinten dunkelrotes, und es erstaunte Susanne, dass sie beides sehen konnte, ohne die Augen zu öffnen oder den Kopf zu drehen. Ob die Augen nun offen oder geschlossen waren –
sich selbst konnte Susanne nicht sehen. Nur ein leichter Druck dort, wo sie ihre Finger vermutete, teilte ihr mit, dass sie mehr war als reine Perspektive.
Irgendwo in der Nähe lachte jemand.
Eine Stimme sagte: »Der Kehrer meinte, jeder müsste einen Lehrer
finden und dann den eigenen Weg.«
»Und?«, fragte Susanne.
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»Dies ist mein Weg. Der Weg nach Hause.«
Und dann, mit einem Geräusch, das Jason immer verursachte, wenn er
ein hölzernes Lineal über den Rand seines Tisches hinausragen und
schwirren ließ, endete die Reise.
Vielleicht hatte sie nicht einmal stattgefunden. Direkt vor Susanne
stand die gläserne Uhr in voller Größe und glänzte. In ihrem Innern war kein blaues Glühen zu sehen. Es war einfach nur eine Uhr, völlig
transparent. Und sie tickte.
Susanne sah an ihrem Arm hinunter und dann an seinem Arm empor, bis ihr Blick Lobsangs Gesicht erreichte. Er ließ ihre Hand los.
»Wir sind da«, sagte er.
» Mit der Uhr?«, fragte Susanne und spürte, wie sie nach Luft schnappte, um wieder zu Atem zu kommen.
»Dies ist nur ein Teil der Uhr«, sagte Lobsang. »Der andere Teil.«
»Der außerhalb des Universums?«
»Ja. Die Uhr hat viele Dimensionen. Hab keine Angst.«
»Ich habe in meinem ganzen Leben nie vor irgendetwas Angst gehabt«,
erwiderte Susanne und schnaufte noch immer. »Nicht in dem Sinne
Angst. Ich ärgere mich höchstens. Und ich ärgere mich auch jetzt. Bist du Lobsang oder Jeremy?«
»Ja.«
»Diese Antwort habe ich regelrecht herausgefordert. Bist du Lobsang
und Jeremy?«
»Schon besser. Ja. Ich werde mich immer an sie beide erinnern. Aber
mir wäre es lieber, wenn du mich Lobsang nennst. Er hat die besseren Erinnerungen. Der Name Jeremy gefiel mir nicht einmal, als ich Jeremy war .«
»Du bist wirklich sie beide ?«
»Ich bin… alles von ihnen, das es zu bewahren lohnt, hoffe ich. Sie
waren sehr verschieden und beide ich selbst, nur einen Augenblick
voneinander entfernt geboren. Und für sich allein fand keiner von ihnen Zufriedenheit und Glück. Man könnte sich fragen, ob wirklich etwas
dran ist an der Astrologie.«
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»Oh, es ist etwas dran«, erwiderte Susanne. »Zum Beispiel Irrglauben, Wunschdenken und Leichtgläubigkeit.«
»Gibst du die Rationalität nie auf?«
»Bisher ist mir das noch nicht passiert.«
»Warum?«
»Weil… Nun, wenn auf der Welt alle in Panik geraten, wird immer
jemand gebraucht, der den Urin aus dem Schuh schüttet.«
Die Uhr tickte. Das Pendel schwang. Aber die Zeiger bewegten sich
nicht.
»Interessant«, sagte Lobsang. »Folgst du zufällig dem Weg von Frau
Kosmopilit?«
»Ich kenne ihn nicht einmal«, antwortete Susanne.
»Bist du inzwischen wieder zu Atem gekommen?«
»Ja.«
»Dann können wir uns umdrehen.«
Die persönliche Zeit floss wieder, und eine Stimme fragte: »Gehört
dies euch?«
Gläserne Stufen führten hinter ihnen nach oben. Am oberen Ende der
Treppe stand ein Mann, der wie ein Geschichtsmönch gekleidet war,
einen kahlen Kopf hatte und Sandalen trug. Seine Augen verrieten viel mehr. Ein junger Mann, der seit langer Zeit lebte – so lautete Frau Oggs Beschreibung. Und das schien tatsächlich der Fall zu sein.
Er hielt den zappelnden Rattentod an der Kapuze seiner schwarzen
Kutte.
»Äh, er gehört sich selbst«, erwiderte Susanne, als sich Lobsang
verbeugte.
»Dann nehmt ihn bitte mit. Ich möchte nicht, dass er hier herumläuft.
Hallo, mein Sohn.«
Lobsang trat die Treppe hinauf. Die beiden Gestalten umarmten sich
kurz und förmlich.
»Vater… «, sagte Lobsang und straffte die Schultern. »Das ist Susanne.
Sie… war eine große Hilfe.«
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»Natürlich«, erwiderte der Mönch. Er sah Susanne an und lächelte. »Sie ist die Hilfsbereitschaft in Person.« Er setzte den Rattentod auf den Boden und gab ihm einen vorsichtigen Stoß.
»Ja, ich bin sehr zuverlässig«, sagte Susanne.
»Und interessanterweise auch sarkastisch«, meinte der Mönch. »Ich bin Wen. Danke, dass du gekommen bist und unserem Sohn geholfen hast,
sich selbst zu finden.«
Susanne blickte vom Vater zum Sohn. Die Worte und Bewegungen
waren gestelzt und kühl, aber auf einer anderen Ebene lief eine
Kommunikation, die sie ausklammerte und wesentlich schneller war
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