Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Zeitdieb

Der Zeitdieb

Titel: Der Zeitdieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
Vom Netzwerk:
sich. Ein Bild von Lu-Tzes sehr schwerer
    Lebensuhr erschien und nahm an Gewicht zu.
    »Er ist dort drüben, nur einige hundert Meter entfernt«, sagte sie und deutete auf eine Schneewehe.
    »Und ich weiß, wann er ist«, sagte Lobsang. »Die Entfernung beträgt nur sechzigtausend Jahre…«
    Als sie Lu-Tze erreichten, sah er ruhig zu einem riesigen Mammut auf.
    Die Augen unter der großen, haarigen Stirn schielten in dem Bemühen, den Mönch zu sehen und gleichzeitig alle drei Gehirnzellen in einer
    Reihe anzuordnen, um zu entscheiden, ob Lu-Tze niedergetrampelt oder einfach zerfetzt werden sollte. Eine Gehirnzelle diente zum
    Niedertrampeln, die andere zum Zerfetzen. Die dritte schlenderte fort und dachte so viel wie möglich an Sex.
    Am anderen Ende des Rüssels sagte Lu-Tze: »Du hast also noch nie
    etwas von Regel Eins gehört?«
    Lobsang trat neben ihm aus der Luft. »Wir müssen gehen, Kehrer!«
    Lobsangs Erscheinen schien Lu-Tze nicht zu überraschen. Es ärgerte
    ihn nur ein wenig, dass er beim Gespräch mit dem Mammut gestört
    wurde.
    »Immer mit der Ruhe, Wunderknabe. Ich habe dies völlig unter
    Kontrolle…«
    »Wo ist die Lady?«, fragte Susanne.
    »Dort drüben bei der Schneewehe.« Lu-Tze deutete mit dem Daumen
    in die entsprechende Richtung, während er das Blickduell mit zwei
    Augen fortsetzte, die anderthalb Meter voneinander entfernt waren. »Sie schrie, als dieses Geschöpf auftauchte, und dann verstauchte sie sich den Knöchel. Ich glaube, es wird allmählich nervös…«
    Susanne stapfte durch den Schnee und zog Unity auf die Beine.
    »Komm, wir verlassen diesen Ort«, sagte sie schroff.
    »Ich habe gesehen, wie ihm der Kopf abgeschlagen wurde!«, brachte
    Unity hervor. »Und dann waren wir plötzlich hier!«
    »Ja, solche Dinge geschehen«, erwiderte Susanne.
    339

    Unity starrte sie aus großen Augen an.
    »Das Leben ist voller Überraschungen«, sagte Susanne, doch die
    Verzweiflung im Gesicht des Wesens ließ sie zögern. Na schön, sie stand einem Revisor gegenüber, oder zumindest einem Etwas, das einmal ein
    Revisor gewesen war und den Körper nur… Er hatte nur die Funktion
    einer Hülle erfüllt, aber jetzt… Außerdem trugen viele Leute ihren
    Körper wie eine Art Mantel.
    Susanne fragte sich, ob die menschliche Seele ohne den Anker des
    Körpers schließlich als ein Revisor enden würde. Was – um fair zu sein –
    bedeutete, dass Unity, die sich immer mehr an ihre fleischliche Existenz gewöhnte, praktisch ein Mensch war. Eine Beschreibung, die auch für
    Lobsang galt, und für sie selbst. Wer wusste schon, wo die menschliche Natur begann und wo sie endete?
    »Komm«, sagte Susanne. »Wir müssen zusammenhalten.«

    Wie durch die Luft fliegende Glassplitter trieben historische Fragmente durch die Dunkelheit und stießen gegeneinander.
    Aber es gab einen Leuchtturm. Das Tal von Oi Dong hielt am immer
    währenden, sich ewig wiederholenden Tag fest. In der Höhle standen
    fast alle großen Zylinder still – die Zeit existierte nicht mehr. Einige von ihnen waren geborsten, andere geschmolzen oder explodiert. In einigen Fällen hatten sie sich einfach in Luft aufgelöst.
    Aber einer drehte sich noch.
    Der Große Thanda, ältester und größter Zauderer, drehte sich langsam auf einem Lager aus Basalt, spulte an einem Ende Zeit ab und am
    anderen wieder auf. Er wurde Wens Willen gerecht, indem er den
    perfekten Tag nie enden ließ.
    Rambut Handlich hielt sich allein in der Höhle auf. Im Schein einer
    Butterlampe saß er neben der sich drehenden Säule und gab gelegentlich eine Hand voll Schmiere auf das Lager.
    Ein steinernes Klicken veranlasste ihn, in die Dunkelheit zu spähen.
    Der Rauch von gebackenem Stein bildete dichte Schwaden.
    Das Geräusch wiederholte sich. Es folgte ein Kratzen, und ein
    Streichholz flammte auf.
    340

    »Lu-Tze?«, fragte er. »Bist du das?«
    »Das hoffe ich, Rambut, aber kann man heutzutage sicher sein?« Lu-
    Tze trat ins Licht und setzte sich. »Man hält dich auf Trab, wie?«
    Handlich sprang auf. »Es ist schrecklich, Kehrer! Alle sind im
    Mandalasaal! Es geht noch schlimmer zu als beim Großen
    Zusammenbruch! Überall schwirren Fetzen der Geschichte umher, und
    wir haben die Hälfte der Zauderer verloren! Wir schaffen es nie, alles wieder…«
    »Na, na, du siehst aus wie jemand, der einen anstrengenden Tag hinter sich hat«, sagte Lu-Tze freundlich. »Hast vermutlich nicht viel Schlaf bekommen. Ich sag dir was: Ich kümmere mich hier um alles. Du

Weitere Kostenlose Bücher