Der Zeitdieb
möchte dich nicht als meinen Schüler, nicht in meinem
Alter, aber du bist es trotzdem, und deshalb sollten wir das Beste daraus machen, in Ordnung?«
»Und du bringst mir alles bei?«
»Über ›alles‹ weiß ich nicht Bescheid. Zum Beispiel kenne ich mich mit 83
forensischer Mineralogie nicht besonders gut aus. Aber ich werde dir all die Dinge beibringen, die ich für nützlich halte, ja.«
»Wann?«
»Es ist schon recht spät…«
»Bei Tagesanbruch?«
»Oh, vorher. Ich wecke dich.«
Tick
Nicht allzu weit von Madame Frouts Akademie entfernt, in der
Esoterischen Straße, gab es einige Herrenklubs. Es wäre viel zu zynisch zu betonen, dass sich der Begriff »Herren« allein auf Personen bezog, die es sich leisten konnten, fünfhundert Dollar Beitrag pro Jahr zu zahlen.
Anwärter mussten auch von vielen anderen Herren gebilligt werden, die sich den gleichen Mitgliedsbeitrag leisten konnten.
Herren dieser Art hielten nicht viel von weiblicher Gesellschaft. Was keineswegs heißen soll, dass es sich um jene Art von Herren handelte, die in einem anderen Teil der Stadt eigene und viel besser dekorierte Klubs hatten, in denen es meistens lebhafter zuging. Diese Herren gehörten zu den Männern, die von Kindesbeinen an die Herrschaft von Frauen
ertragen mussten. Kindermädchen, Gouvernanten, Matronen, Mütter
und Ehefrauen bestimmten ihr Leben. Nach vier und fünf Jahrzehnten
gaben sanftmütige Männer auf und flohen so höflich wie möglich in
einen dieser Klubs, wo sie am Nachmittag in großen ledernen Sesseln
dösten, den obersten Hosenknopf geöffnet.*
Der exklusivste Klub hieß »Zappler«, und dort ging es so zu: Susanne brauchte sich nicht unsichtbar zu machen, weil sie wusste, dass die
Mitglieder des Zapplers sie überhaupt nicht sahen. Und wer sie doch
bemerkte, würde einfach nicht glauben, dass sie tatsächlich existierte.
* Ein Grund dafür war das Essen im Klub. In einem guten Klub fand ein Herr Speisen, die er von der Schule her kannte: mit viel Butter zubereiteter Kartoffelbrei, knusprig gebratener Speck, gerol ter Pudding mit Marmelade und Zuckersahne. Vitamine werden von Ehefrauen gegessen.
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Frauen waren im Klub verboten, mit der Ausnahme von Regel 34b. Sie
ließ widerstrebend zu, dass weibliche Familienangehörige oder
respektable verheiratete Frauen über dreißig zwischen 15.15 Uhr und
16.30 im Grünen Salon zum Tee empfangen werden durften,
vorausgesetzt, ein Repräsentant des Personals war die ganze Zeit über anwesend. Diese Regel gab es schon so lange, dass Klubmitglieder
glaubten, es wären die einzigen 75 Minuten am Tag, während denen
Frauen existieren durften. Deshalb konnten Frauen, die zu einem
anderen Zeitpunkt im Klub erschienen, nur ein Hirngespinst sein.
Bei Susanne mit ihrer strengen Lehrerinnen-Kleidung und den
Knopfstiefeln, die höhere Absätze zu bekommen schienen, wenn sie
Tods Enkelin war, mochte das durchaus der Fall sein.
Die Stiefel klackten auf dem Marmorboden, als sie zur Bibliothek ging.
Es war ihr ein Rätsel, warum Tod diesen Ort aufsuchte. Natürlich war er mit vielen Eigenschaften eines vornehmen Herrn ausgestattet: Er
hatte ein Haus auf dem Land, in einer fernen, dunklen Sphäre; er war immer pünktlich und höflich zu allen, denen er begegnete (und früher oder später begegnete er allen); er trug immer sehr ernste, würdevolle Kleidung, daheim ebenso wie in Gesellschaft; und natürlich konnte er gut reiten.
Nur der Umstand, dass er der Schnitter war, passte nicht ganz ins Bild.
In den meisten Polstersesseln der Bibliothek saßen zufriedene und
satte Klubmitglieder unter Zelten, die aus der Ankh-Morpork Times bestanden. Susanne sah sich um und entdeckte schließlich eine Ausgabe der Zeitung, unter der die untere Hälfte eines schwarzen
Kapuzenmantels und zwei knochige Füße hervorragten. Eine Sense
lehnte an der Rückenlehne des Sessels. Susanne hob die Zeitung an.
GUTEN TAG, sagte Tod. HAST DU ZU MITTAG GEGESSEN? ES
GAB GEROLLTEN PUDDING MIT MARMELADE.
»Warum verhältst du dich so, Großvater? Du schläfst doch nie.«
ICH FINDE ES ERHOLSAM. GEHT ES DIR GUT?
»Mir ging es gut, bis die Ratte kam.«
KOMMST DU BERUFLICH GUT VORAN? DU WEISST JA, DASS
DU MIR VIEL BEDEUTEST.
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»Danke«, erwiderte Susanne knapp. »Und jetzt möchte ich wissen,
warum du…«
KANN EIN WENIG SMALLTALK SCHADEN?
Susanne seufzte. Sie wusste, was dahinter steckte, und es war kein
fröhlicher Gedanke, viel eher ein kleiner, trauriger
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