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Der Zeitenherrscher

Titel: Der Zeitenherrscher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Gemmel
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Moons Epoche.
    Der Vollmond stand als helle, kreisrunde Scheibe am sonst pechschwarzen Himmel und tauchte die Gegend in ein unwirkliches graues Licht. Dünne Nebelschwaden waberten knöchelhoch am Boden. In der Ferne schrie ein Kauz.
    Dieses Mal lag kein langer Fußmarsch vor ihnen. Dieses Mal hatten sie mit dem Seelensammler ganz in der Nähe von Salomons Stadt vor Anker gehen können. Der Junge hatte seinen Freunden kurz vor dem Zeitensprung genau erklären können, wo sie das Schiff hinmanövrieren mussten, wenn sie zu ihm gelangen wollten. Und von dort war es nur ein Katzensprung bis zu Salomons Heimatort. Die Stadt lag direkt am Meer, und der Seelensammler ruhte sich vor dem Strand von seiner Zeitreise aus.
    Doch Salomon hatte ihnen nicht nur den Weg erklärt, den sie nehmen mussten. Er hatte ihnen auch noch einmal eindringlich von den Begebenheiten und den Geschehnissen seiner Zeit berichtet. Und genau das war es, was Simon jetzt erzittern ließ. Salomons Bericht hatte sie alle sehr aufgewühlt und verunsichert. Mit einer Angst in sich, wie er sie bei den anderen Zeitreisen nicht gefühlt hatte, bewegte sich Simon neben seinen Freunden auf die fremde Stadt zu, deren Dächer und Türme sich bereits als schwarze Silhouetten vor ihnen abzeichneten.
    Simon war tief in seine Gedanken versunken. Bisher hatten sie es immer mit Menschen aufnehmen müssen. Doch dieses Mal stellten sie sich zudem einer Krankheit, einer Seuche, an der in den wenigen Jahren von 1347 bis 1353 ein Drittel der Bevölkerung Europas erkranken und sterben würde, wie Simon aus seinen Geschichtsbüchern erfahren hatte.
    Eine Seuche, dachte Simon jetzt für sich. Wie sollte man sich gegen eine Krankheit wehren? Menschen waren zumindest ineinem gewissen Maße berechenbar. Eine Krankheit dagegen erschien ihm wie ein völlig unkalkulierbarer Gegner. Er fühlte sich unvorbereitet, schutzlos. Und das machte ihm Angst.
    Allmählich näherten sie sich der Stadt. Die Türme reckten sich wie ausgestreckte dünne Finger zum Himmel. Die Dächer waren kaum noch zu erkennen, denn die hohe Schutzmauer nahm den Jugendlichen mit jedem Schritt mehr die Sicht auf die Stadt. Über drei Meter schätzte Simon die Höhe der grauen Wand, die sich nach allen Seiten vor ihnen erstreckte.
    „Unheimlich!“, brachte Neferti hervor.

Ein Schrei riss ihn aus dem
Schlaf: Das Krächzen einer Krähe. Schwach, erschöpft, zwang er sich,
die Augen zu öffnen.
Sein Schädel rebellierte. Selbst das matte,
düstere Licht in seinen Gemächern schmerzte in seinen Augen.
Mit
größter Anstrengung hob er den Kopf und erblickte den krummen Schnabel
an dem Tier, das ihm gegenüber, auf einem erloschenen Kerzenhalter,
Platz genommen hatte.
Das Tier starrte ihn an.
Und der Magier verstand
sofort: Etwas geriet aus den Fugen.
Und die große Krähe war hier, um
ihn zu warnen.
Er streckte einen Arm aus und ließ die Krähe darauf
Platz nehmen.
Seine Augen suchten ihren Blick. Und seine Gedanken
verloren sich im Bewusstsein der Krähe. Er konnte sehen, was sie
sah. Er konnte fühlen, was sie fühlte.
Doch was er zu sehen bekam, war
für ihn unfassbar.
Der Junge!
Nach allem, was er ihm gezeigt hatte …
Mit einem entsetzlichen Aufschrei der Wut sprang er auf, bereit,
seinen Fehler rückgängig zu machen.

Die Stille an diesem Ort war beinahe mit Händen greifbar. Simon und seine Freunde hatten anderes erwartet. In einer Stadt, in der angeblich eine totbringende Krankheit umging, hätten sie niemals eine solche Ruhe vermutet. Auf Schreie, Rufe, Befehle, vielleicht sogar auf das Knistern von Feuer waren sie vorbereitet. Doch diese alles umfassende Stille überraschte sie völlig.
    „Ob wir hier überhaupt richtig sind?“ Nin-Si war sicher nicht die Einzige, in der diese Befürchtung aufstieg. „Vielleicht haben wir die falsche Richtung eingeschlagen und gehen gerade auf die falsche Stadt zu.“
    „Salomons Beschreibungen waren eindeutig“, widersprach Caspar. „Wir haben uns bestimmt nicht geirrt.“
    „Warum ist eigentlich die kleine Krähe nicht mit uns gekommen?“, fragte Neferti. „Sie könnte uns jetzt vorausfliegen, über diese Mauer hinweg, und sich für uns in der Stadt umsehen.“
    „Sie hielt es für besser, auf dem Schiff zu bleiben, um die große Krähe im Auge zu behalten“, erklärte Simon. „Sie befürchtet, dass die große dem Schattengreifer sofort Bericht erstatten wird.“
    „Das macht Sinn“, sagte Caspar. „Dennoch schade, dass sie jetzt nicht hier ist.“
    Sie

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