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Der Zeitläufer

Der Zeitläufer

Titel: Der Zeitläufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donald A. Wollheim
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irgendwo draußen, den er noch zu besteigen habe, ehe er das Gefühl haben könne, es wirklich geschafft zu haben. Pitman war ein Meilenstein für ihn.
    So fallen die Mächtigen, aber Pitman hat trotzdem Glück. Ihm bleiben noch sechsundzwanzig Jahre. Willie noch fünfzehn Monate.
     
    14. Juni 1938 – Spicer's Hotel, New York
    Eine Komplikation, die nicht sehr drastisch ist, die ich aber seit einiger Zeit erwartet hatte; eigentlich erstaunlich, daß sie sich nicht schon früher ereignete.
    Gestern abend hatte er eine Radiosendung, und anschließend traf ich ihn in einer Kneipe namens Sutton's, die gerne von den Musikern nach ihrer Sendung aufgesucht wird. Er war ziemlich erkältet und fragte mich, ob er mit zu mir kommen könne, weil er das Bedürfnis habe, die Füße hochzulegen. Ich wußte natürlich sofort, was er eigentlich wollte, und jede Ausrede wäre selbstverständlich Unsinn gewesen.
    Er hielt sich nicht mit langen Vorreden auf und fragte, ob ich das Ding, wie er es nannte, noch habe. Ich erklärte ihm, ich habe es in Baltimore gelassen, weil ich, solange ich viel unterwegs sei, keine Zeit habe, daran zu arbeiten. Das paßte ihm gar nicht, und er wurde ziemlich schweigsam. Schweigend trank er auch sein Glas leer, und dann ging er, um seine Erkältung zu pflegen, wie er sagte.
    Ich verstehe durchaus, daß er auch diesmal wieder so in sich gekehrt und zurückhaltend war wie die letzten paarmal, wo wir einander mehr oder weniger zufällig begegnet waren. Es ist kein gutes Gefühl, nicht recht zu wissen, ob man das Original oder der Plagiator ist. Wenn »der andere Bursche« einmal auftauchen würde – welche Verwicklungen da wohl fällig wären!
    Interessant wäre zu wissen, wie weit er mich mit allem, was ihm seit einiger Zeit geschah und jetzt noch geschieht, in Verbindung bringt. Wir begegnen einander ja fast ausschließlich in kritischen Momenten und an weit voneinander entfernten Orten. Sicher hält er mich nicht für eine gute Fee, aber etwas muß ihm doch schließlich aufgefallen sein.
    Seine Erkältung ist wirklich schlimm. Wenn er wüßte, wie kostbar die Zeit für ihn allmählich wird ... Er würde dann nur noch ununterbrochen Musik machen, seine herrlichsten, klarsten, schwebendsten Töne blasen.
    Manchmal bin ich versucht, es ihm zu sagen. Noch knappe, vier Wochen für ihn. Einmal habe ich gegen die Regeln verstoßen, weil es nicht anders ging, aber jetzt steht er ja auf eigenen Füßen.
     
    10. September 2078 – Lewiston, Maine
    Ich weiß genau, daß mir ein wirklich objektiver Bericht nie gelingen wird, aber länger hinausschieben kann ich ihn auch nicht. Anscheinend habe ich mich zu sehr an die Hoffnung geklammert, die Zeit möge die Kanten abschleifen und die Ecken abrunden. Das dauert aber viel zu lange. Es sind für mich jetzt mehr als zwei Monate vergangen, und alle Einzelheiten sind noch so scharf und klar in meinem Gedächtnis wie am ersten Tag. Ich bin noch immer ziemlich verwirrt, und ich muß irgendwie eine Antwort finden.
    Die Warums stelle ich vorerst zurück. Diese Sache war so umfassend und kompliziert, daß wir unsere eigene Zeit und unseren eigenen Ort kaum begreifen können, falls dieser Ausdruck auch nur annähernd das ausdrückt, was dahinter steht. Wenn nur ...
    Nein, keine Spekulationen, sondern nur Tatsachen.
    Seine Erkältung war gar nicht so schlimm, er sah nicht krank aus, nicht einmal besonders müde, als ich ihn während der letzten paar Tage sah. Nach dem Marathon in Joyland wäre eine Erschöpfung kein Wunder gewesen, denn er hatte all die Großen und Bekannten in Grund und Boden gespielt. Vielleicht hatte er ein wenig geschwollene Augenlider, ein wenig aufgedunsene Wangen, aber sonst sah er aus wie sonst auch. Er hatte Plattenaufnahmen gemacht, und das war ungeheuer wichtig, praktisch das einzige, was zählte. Es hat mich immer angewidert, Zeuge seines Zusammenbruchs sein zu sollen, denn das war nicht mehr als eine morbide Neugier.
    Am Abend des 8. Juli setzte ich mich in eine Hamburger-Kneipe gegenüber den Studios und wartete – eine halbherzige Abschiedsgeste, zugegeben; ich fühlte mich jedoch verpflichtet, sie zu machen. Während der Aufnahmen war er noch ganz in Form gewesen, und doch starb er fast unmittelbar danach. Also war es die Neugier, die mich hierher geführt hatte.
    Fast eineinhalb Stunden mußte ich warten. Ich trank eine Tasse Kaffee nach der anderen. Draußen wurde es allmählich dunkel. Cee Hall kam zuerst mit seinem Instrument im Taxi, dann

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