Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Zeitläufer

Der Zeitläufer

Titel: Der Zeitläufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donald A. Wollheim
Vom Netzwerk:
in sein Quartier, er bedankte sich und schaute nicht einmal zurück, als er durch die Haustür verschwand.
    Er wirkte so, als klinge die Musik noch immer in seinem Kopf weiter. Irgend etwas schien Wahrheit geworden zu sein, das er nicht einmal in seinen kühnsten Träumen erwartet hätte, das es bisher nur in seiner eigenen Phantasie gegeben hatte.
    Und das war dann alles. Für ihn hatte sich die Tür in eine andere Welt aufgetan, die in sein persönliches Paradies.
    Wäre das alles auch dann geschehen, wenn ich nicht gelebt, nicht die Zügel in die Hand genommen hätte? Wäre er geblieben, wo er war, bis sein leuchtender Ton gestorben wäre an der Dicke von Currys Wünschen? Wäre die sublimste, graziöseste Musik unseres Jahrhunderts ungespielt geblieben?
    Gute Nacht, mein Freund. Schlafe eine Weile, denn du hast begnadete Melodien zu spielen ...
     
    6. Februar 1937 – Brooks Hotel, Kansas City.
    Es war ein großartiger, historischer Abend. Mein Band kann nur ein schwacher Abklatsch dessen sein, was wir erlebten. Der Saal drohte aus allen Nähten zu platzen, und die Atmosphäre war hochspannungsgeladen. Natürlich litt die Musik darunter, aber ich hatte einen relativ günstigen Platz gefunden.
    Welch eine Band ist das! Ein bißchen rauh, kollektiv gesprochen, aber ihr Finger liegt am Puls des Universums. Und Willie ...
    Natürlich werde ich ihn bald unter besseren Bedingungen hören. Trotz des Höllenlärms der vor Begeisterung tobenden Menge war es aber etwas Besonderes. Er lebte in seiner eigenen Welt, die nicht berührt wurde von dem überschäumenden Enthusiasmus; das mußte wohl so sein, denn sonst hätte er diese schöne, wundervoll klare, klassische Linie nicht einhalten können.
    Wie er swingt! Über dem Beat, davor und dahinter, als hätte er sechs Hände und alle Zeit der Welt. Ah, wie einmalig schön, daß er doch seinen Weg gefunden hatte!
    Nichts hat sich hier sonst in Kansas City seit meinem letzten Besuch verändert. Man kam sich vor wie eine Sardine in der Blechbüchse. Clay sah ich nur einmal, ehe er wegging, aber seine Leute blieben noch eine Weile an dem Tisch unmittelbar vor dem Bandstand sitzen. Sie lachten zuviel und zu laut, und sie interessierten mich auch wenig. Ich hatte nur Augen für Willie.
    Kaum zu glauben, daß vor fünf Monaten dieser sichere, selbstbewußte Mann mit dem Pokergesicht noch ein kleiner, schüchterner Niemand war. Eine solche Transformation schafft fast immer eine etwas abweisende Arroganz, und die erreichen nur wenige Leute. Sie gründet sich auf einen unerschütterlichen Glauben an sich selbst. Körperlich hat er sich wenig verändert, aber sein neues Selbstbewußtsein läßt ihn größer, bedeutender aussehen. Er ist der eigentliche Leader der Lacey Band, und das Punktlicht konzentriert sich fast ausschließlich auf ihn. Willie ist schon jetzt nahezu die Verkörperung der absoluten, unfehlbaren, gottähnlichen Musik.
    Der Abend endete dann ein wenig anders als ich gedacht hatte. Ich hatte nicht vorgehabt, mich zwischen den zahllosen Fans zu ihm durchzuquetschen, und so war ich ehrlich erstaunt, als er draußen vor dem Club meinen Arm nahm und mit mir weiterging.
    Er habe mich in der Menge gesehen, erzählte er mir und wollte wissen, was ich in Kansas City zu tun habe. Ich sei auf der Durchreise von Baltimore her, erklärte ich ihm, und habe die Posters gesehen; daraus entnahm ich, daß es für mich ein besonderes Erlebnis sei, ihn zu hören, aber ich drängte ihn nicht, mir von sich zu erzählen.
    Er machte es kurz. Leonhard Clay sei von New York gekommen, als er gerade mit Lacey über Geschäfte redete, und da habe man sich zusammengetan zum großen Durchbruch. Ich antwortete ihm, ich sei froh, daß er Curry verlassen habe und gratulierte ihm zu seinem Erfolg. In Zukunft werde ich ihn wohl öfter zu hören bekommen.
    Das sei ihm nur recht, meinte er, denn er habe das Band, das ich ihm damals in Florence vorgespielt habe, niemals vergessen. Ob ich inzwischen wohl wisse, wer da gespielt habe? Besonders der Tenor des letzten Stückes würde ihn interessieren, das ich in Kansas City aufgenommen hatte.
    Ich tat ein bißchen erstaunt und sagte ihm, da habe ich noch immer keine Ahnung, ob er denn nicht wisse, wer das gewesen sein könnte? Er schaute mich ziemlich verständnislos an, denn ihm war es unbegreiflich, daß anscheinend kein Mensch einen kenne, der so auf seiner Linie liege wie er selbst; noch kein ortsansässiger Musiker habe ihn je gehört. Ob ich denn sicher

Weitere Kostenlose Bücher