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Der Zeitläufer

Der Zeitläufer

Titel: Der Zeitläufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donald A. Wollheim
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sei, daß es eine Station von Kansas City war, die diese Musik brachte?
    Ich wußte, daß er jetzt ein Stadium erreicht hatte, wo er wieder ein bißchen moralische Unterstützung nötig hatte. Übertreiben wollte ich jedoch auch nicht, und so sagte ich ihm nur, ich sei ziemlich sicher, daß es eine Station von Kansas City gewesen war, aber vielleicht habe da ein junger Unbekannter gespielt, der gerade einmal ein bißchen Sendezeit bekommen habe, ehe ihn ein Lastwagen überfuhr, oder so ähnlich.
    Das nahm er mir jedoch nicht ab; kein Wunder, denn ich hätte es auch nicht geglaubt. Er sagte, das sei Musik gewesen, die viele Jahre Praxis und Erfahrung hinter sich habe, die Musik eines Vollblutmusikers mit einem ganz persönlichen Sound. Darauf antwortete ich, dann müsse ich mich wohl geirrt haben, und vermutlich hätte ich mich damals in der Station getäuscht, weil ich sie nie wieder gefunden hätte.
    In ein paar Tagen würde ich wohl in New York sein, und dann würde ich ihn gerne treffen, sagte ich ihm. Ich sah, daß ihn sehr fröstelte, denn es war kalt, und er hatte keinen Mantel an. Wir schüttelten einander die Hände, ich versprach ihm, in New York die Unterhaltung bei einem Drink fortzusetzen, und dann trennten wir uns.
    Ich war froh, als ich die Begegnung hinter mir hatte, da ich mich allmählich unbehaglich zu fühlen begann. In Florence damals hatte ich ihm seine eigene Seele gezeigt, ihm vor Augen gehalten, was er sein könnte, aber nun ist mir die Sache doch ziemlich aus den Händen geglitten. Mein Gewissen macht mir zu schaffen.
    Die Leute vom Transferzentrum haben jedoch, seit ich ihnen meinen ersten Bericht übermittelt habe, noch viel stärkere Kopfschmerzen als ich, da sie ihre sämtlichen Thesen und Grundsätze neu durchdenken müssen. Warum soll es ihnen bessergehen als mir?
     
    12. Mai 1937 – Spicer's Hotel New York
    Die Schlacht des Jahrhunderts, fünf volle Stunden des Hörens und Beobachtens – es war erschöpfend.
    Pitman kam heute aus Frankreich zurück und war auf der Suche nach Willie. Es mußte sich herumgesprochen habe, daß in Cummings' Playhouse etwas ganz Großes anstehe, denn das Publikum war ein wenig ungewöhnlich; viele ältere Gesichter, auch einige recht bekannte, die man in letzter Zeit nicht allzuviel gesehen hatte – Peter Small, Jay Collins, Edgar Brown und natürlich all die Leute, die Willie in den letzten Monaten in Grund und Boden geblasen hatte.
    Pitman war groß in Fahrt. Wir, die wir ihn kannten, hätten gedacht, die anstrengende Europatour hätte ihn doch ein wenig gebremst, aber er ist ein genialer Riese, und wenn er Dampf ablassen muß, dann schlägt er sich in einem Sturzbach nieder.
    Es war ein Kampf Bulle gegen Panther: geballte Energie gegen subtilsten, phantastisch gezielten Schritt, eine tänzerisch-akrobatische Spitzenleistung. Das Ergebnis war denn auch unausbleiblich. Um fair zu sein – in den letzten paar Jahren hatte Pitman auch gar keine angemessene Konkurrenz gehabt.
    Bei Blue Lou zeigten sich dann doch die ersten ausgefransten Kanten. Die letzten paar Takte geraten leicht ein wenig enttäuschend, wenn man nicht mehr ganz auf der Höhe ist. Die letzte Stunde spielte er dann in Hemdsärmeln, aber auch so war sein aufgeknöpftes Hemd klatschnaß, sogar die Hose um den Gürtel herum war durchweicht. Als er dann aufhörte, war er völlig ausgepumpt.
    Wie soll ich jetzt die richtigen Worte für Willie finden? Ich hätte nie für möglich gehalten, daß eine so makellose Virtuosität überhaupt je zu erreichen wäre, aber in diesem ganz besonderen Moment im unendlichen Lauf der Zeit muß ich zugeben, daß es doch ab und zu geschehen kann – die absolute Sternstunde der Musik. Eines wird mir immer klarer: Willie's Blues mag die größte musikalische Tat gewesen sein, die er je kommerziell ausgewertet hat, aber solche Augenblicke hatte er nicht nur einmal, sondern sie ereigneten sich erstaunlicherweise immer wieder, immer von neuem.
    Willie zeigt noch immer keine Ermüdungserscheinungen, obwohl mir die Geschichten über sein Privatleben die Haare zu Berg stehen lassen. Ich trank später ein wenig mit ihm und war erstaunt über seine Kondition. Er schwitzte nicht einmal, und Pitman hatte aufgehört wie ein nasser Schwamm. Immer, wenn ich ihn sehe, rechne ich damit, daß er einmal »den anderen Burschen« erwähnt, doch das tut er nicht. Ich weiß aber, daß er auf ihn wartet. Er hat jenen Ausdruck in den Augen, der mir sagt, er wisse von dem Berg

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