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Der zeitlose Winter

Der zeitlose Winter

Titel: Der zeitlose Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A. Owen
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hast du gerade deinen rechten Arm so hervorgehoben?« Fischmehl beugte sich näher zu dem Skalden herunter. »Warum nicht den linken?«
    »Weil«, sagte Wasily, »es mein rechter Arm war, den ich bewegen wollte, als du mich um das Buch gebeten hast – das war der Arm, den ich… gespürt habe.«
    »Genau.«
    Der Skalde starrte Fischmehl einige Augenblicke lang an, dann schloss er die Augen. »Weißt du«, flüsterte er, »manchmal träume ich nachts davon, wieder ein ganzer Mensch zu sein, und wenn ich aufwache, kann ich einen Augenblick lang meine Arme und Beine spüren, das Schlagen meines Herzens, das Rasseln meiner Lunge. Wenn ich dann ganz wach werde, sind sie nicht mehr da, aber ich erinnere mich daran.«
    »Das gleiche Gefühl«, sagte Fischmehl, als der Skalde die Augen wieder öffnete, »verbinde ich mit Orten, an denen ich gewesen bin. Karten zeichne ich dagegen, weil ich Orte spüren kann, an denen ich noch nicht gewesen bin und die ich auf keiner Karte finden kann.«
    »Das ist bemerkenswert«, sagte Wasily. »Ich hatte ja keine Ahnung.«
    Fisch nickte. »Es ist ungewöhnlich, dessen bin ich sicher.«
    »Wie oft hast du dieses Gefühl schon gehabt? Ich meine, gibt es diese verborgenen Länder überall, oder nur hier und da, so wie Atlantis?«
    Fisch stand auf und wies auf eine vergilbte Landkarte in der gegenüberliegenden Ecke. »Ich habe vor einer Weile beide Positionen von Atlantis recht gut bestimmen können.« Er deutete auf Punkte im Mittelmeer und an der Küste Nordamerikas. »Aber im Großen und Ganzen lösen nur etwa ein Dutzend Orte auf der Welt eine starke Empfindung bei mir aus.«
    »Hast du jemals etwas gefunden, das du eindeutig bestimmen konntest?«
    Fischmehls Schultern sackten nur um einen Millimeter nach unten, bevor er antwortete. »Nein, eigentlich nicht.«
    Der Kopf schaukelte sich ein Stück herum, um die Karte über Fischs Bett ansehen zu können. »Was ist das dann dort auf der Karte? Wozu das ganze Gekritzel und die Koordinaten?«
    »Nun, es ist mir selbst ein Rätsel«, gab Fischmehl zu, »aber in letzter Zeit habe ich starke Eindrücke von neuen Orten erhalten, und sie befinden sich an Positionen, die ich ausfindig machen kann - weil es Orte sind, die bereits Namen haben.«
    »Mmm. So eine Art umgekehrtes Déjà-vu, was? Du erinnerst dich, an einem Ort gewesen zu sein, von dem du weißt, dass du nie dort gewesen bist. Aber das Gefühl wird von einem Ort ausgelöst, den es nicht wirklich gibt. Was ist also das Problem?«
    »Das Problem ist«, sagte Fischmehl und fuhr mit dem Finger über die nördliche Halbkugel, »dass die Eindrücke stärker werden.«
     

     
    Zieht man in Betracht, wie merkwürdig Fischmehls Fähigkeiten waren, erwiesen sich die beiden antiken Bücher über Kartografie als ausgesprochen passendes Geschenk. Der erste Band, der nach den Angaben der Titelseite eine Abhandlung über die Messung der Erde sein sollte, war in Wirklichkeit ein laufender Bericht über Eratosthenes Bemühungen, das zu finden, was er ›Den fehlenden Kilometer‹ nannte. Der Wissenschaftler und Philosoph war offenbar der Meinung, dass der Messunterschied nicht von einer allgemeinen Erweiterung und Verringerung herrührte, sondern von der Ergänzung und Wegnahme – oder Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit - eines bestimmten Ortes. Die Schwierigkeit lag in der Bestimmung der Achse, auf der diese Strecke lag, und bei einem Erdumfang von über vierhunderttausend Kilometern überstieg die Aufgabe Eratosthenes Lebensspanne.
    Die Suche nach dem Fehlenden Kilometer führte zu einem Projekt, das ursprünglich nicht geplant gewesen war: das zweite Buch, Eratosthenes’ Geografika. Mehr Adas als Text, zeugten die vielen Karten des Buches von einer außerordentlich umfassenden Kenntnis der geografischen Gegebenheiten Europas, und darüber hinaus Asiens, Afrikas und Teilen Nordamerikas, die selbst den gebildetsten Gelehrten jener Zeit weitgehend unbekannt gewesen sein dürften.
    Am meisten erstaunte Fischmehl jedoch, dass weitere Landmassen abgebildet waren – Landmassen, von denen weder Eratosthenes, noch einer seiner Zeitgenossen hätte wissen können.
    Länder, die in keinem modernen Adas auftauchten und nur in Sagen oder Mythen erwähnt wurden.
    Orte, die Fischmehl gespürt hatte, und die auf den Reliefkarten markiert waren, die er an die Wände seines Quartiers geklebt hatte.
    Er wandte sich dem Vorsatzblatt des Atlas zu, auf das ein Holzschnitt des griechischen Kartografen geprägt war, und

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