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Der zeitlose Winter

Der zeitlose Winter

Titel: Der zeitlose Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A. Owen
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zeichnete mit den Fingerspitzen sanft das Bild nach.
    Das war der Bruder, auf den ich immer gehofft habe, dachte Fischmehl – ich komme nur zweitausend Jahre zu spät.
     

     
    Die erste ›Milchfahrt‹ der La Lechera war in jeder Hinsicht erfolgreich, mit einer Ausnahme: Sie konnten ihre Fracht nicht abliefern. Während der Fahrt hatte eine weltweite BSE-Epidemie die Fleisch- und Milchindustrie überrollt, und der Geschäftsmagnat in Katalonien weigerte sich, die Schiffsladung entgegenzunehmen, bis der Skandal sich gelegt hatte. Schlimmer noch, sie durften in keinem europäischen Hafen einlaufen. So blieb ihnen nichts weiter übrig, als auf dem Atlantik herumzuschippern und zu warten, dass sich irgendetwas tat. Beinahe fünf Monate lang geschah nichts.
    Die lange Zeit auf See wäre unerträglich gewesen, hätte der frühere erste Maat Wattreau (der es überlebt hatte, hinter dem Schiff hergezogen zu werden, bis der Kapitän ihn für begnadigt erklärte, die Leine an einer Winde befestigte und ihn direkt in eine der Schleusen zog) in Traverse City nicht seine Zustimmung gegeben, eine Bluesband als Passagiere mit an Bord zu nehmen. Der Manager der Band, die sich Blues Train nannte, war ein großer, einfacher Kerl namens George, der immer darauf bedacht war, ein paar Dollars zu sparen. Sie hatten auf einer Reihe von Blues-Festivals zwischen Neuengland und den Großen Seen gespielt und freuten sich nach ihrer letzten Show in Traverse City auf einen ausgedehnten Urlaub zu Hause. Eigentlich hatten sie einen Bus mieten wollen, doch George war in einer Bar Wattreau begegnet, der erwähnte, dass er der Kapitän eines weltberühmten Passagierschiffes sei. George, der ein Geschäft witterte, handelte für die Band die Überfahrt auf dem Schiff aus, das natürlich die Milchkanne war und sich in etwa so sehr von Wattreaus Beschreibung unterschied wie eine Kartoffel von einem Cadillac.
    Wie es sich für eine anständige Blues-Kapelle gehört, hatten die Bandmitglieder eine Menge Gin konsumiert, die dem Gewicht eines kleinen Pferdes entsprach. Folglich waren sie voll wie die Strandhaubitzen, als sie an Bord kletterten. Das Schiff hatte die Großen Seen hinter sich gelassen, aufgetankt und befand sich auf dem Weg aufs offene Meer, bevor einer von ihnen nüchtern genug war um Folgendes zu bemerken: Die La Lechera war kein Passagierschiff; es war sehr unwahrscheinlich, dass ein Schiff, das in Richtung Atlantik fuhr, innerhalb der nächsten Monate in die Nähe ihrer Heimat in Fresno, Kalifornien, an der Pazifikküste der Vereinigten Staaten gelangen würde; und dieser Tatsachen ungeachtet, würde der eigentliche Kapitän, Pickering, ihnen die fünftausend Dollar, die George für ihre Überfahrt bezahlt hatte, wahrscheinlich nicht zurückerstatten. Die gerade erst ausgenüchterten und über ihre Situation in Kenntnis gesetzten Bandleader, die vor der Wahl standen, an Bord zu bleiben oder mit anzusehen, wie sämtliche Bandmitglieder zu Fischfutter verarbeitet wurden, entschieden sich dafür, an Bord der La Lechera zu bleiben.
    »Hey«, sagte Butch, der kotelettenbärtige Harmonikaspieler, der gemeinsam mit George die Band managte, »das ist besser, als viele unserer Auftritte.«
    »Verdammt richtig«, sagte Beverly, die Bandgründerin und Leadsängerin.
    Hermann, der Bassist der Band, nickte nur und ging seiner Wege. Hermann redete für gewöhnlich nicht viel.
    »Ich dachte, nach Sacramento hätte ich eines klar gestellt«, beschwerte sich Ada, die Keyboard-Spielerin, »ich hasse es, mein Zimmer mit Kühen zu teilen.«
    »Verdammt richtig«, sagte Beverly.
    »Eines würde ich gern wissen«, sagte Butch zu George, »warum hast du uns auf diesem Schiff eingemietet, nachdem du gesehen hast, wie es aussieht? Ich meine, diese Typen haben gesagt, dass du einige Stunden vor uns an Bord gekommen bist – warum hast du überhaupt in das Geschäft eingewilligt?«
    »Weil, Mann, hast du mal deine Nase in die Waschräume hier gesteckt?«
    »Was?«
    »Die Waschräume«, sagte George, »sie haben die wohlriechendsten Waschräume, die ich je gesehen habe.«
    »Danke«, sagte Fischmehl.
    »Was?«, kreischte Butch, »Willst du damit sagen, dass wir auf diesem Boot mit einem Haufen Piraten festsitzen…«
    »Schmuggler«, berichtigte ihn Pickering, »und es ist kein Boot, sondern ein Schiff.«
    »Tut mir Leid – dass wir auf diesem Schiff mit einem Haufen Schmugglern und Kühen festsitzen, weil dir der Geruch der Waschräume gefallen

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