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Der zeitlose Winter

Der zeitlose Winter

Titel: Der zeitlose Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A. Owen
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DREI
Der Atlas des Hierophanten
     
    Die Abmachung zwischen Fischmehl dem Kartografen und Wasily dem Skalden erwies sich für beide Seiten als ausgesprochen angenehm. Die ersten Monate, die sie gemeinsam auf der La Lechera verbrachten, wurden zum Beginn einer höchst ungewöhnlichen Freundschaft. Ihre Interessen und Neigungen passten zueinander, und Fisch fand in dem Kopf einen ausgezeichneten Zuhörer für seine verschiedenen Ideen – auch wenn Wasily mit seiner Meinung über jene, die er für weniger brauchbar hielt, nicht hinterm Berg hielt.
    »Das ist das Dümmste, was ich je gehört habe«, sagte Wasily, nachdem er von Fischs neuester Theorie über blinde Navigation gehört hatte. »Glaubst du etwa, du hast das Hirn einer Fledermaus und kannst einfach hin- und herflitzen, ohne mit irgendetwas zusammenzustoßen, nur weil du einen eingebauten Radar besitzt?«
    »Eigentlich benutzen Fledermäuse Echolotung«, erklärte Fisch geduldig, »aber wie sonst willst du erklären, dass ich mich nie verirre?«
    »Glück und Gottes Gnade, würde ich sagen«, gab Wasily zurück. »Das ist nicht unbedingt etwas, worüber ich mich beklagen würde.«
    »Ich beklage mich ja auch nicht«, sagte Fischmehl. »Ich würde nur gern eine Erklärung für meine Fähigkeiten finden. Bislang hat mir noch niemand eine geben können.«
    Fischmehls unheimliche Fähigkeit, sich nicht zu verirren, war im Verlauf seiner Reisen um den Erdball immer deutlicher zutage getreten. Wenn er einmal einen Ort gesehen hatte, war er für immer darauf ausgerichtet. Mehr noch – er wusste ständig über die Entfernung von oder zu jedem dieser Punkte Bescheid. Den größten Teil seines Lebens hatte er damit zugebracht, sich eine wissenschaftliche Ursache für dieses merkwürdige Talent auszudenken. Seine wahrscheinlichste Schlussfolgerung lautete bisher, dass es sich um eine mathematische Funktionsstörung in seinem Gehirn handelte, die immer wieder dafür sorgte, dass sein Standort neu angemessen wurde. Seit kurzem hatte er sich jedoch eher unkonventionellen Erklärungen zugewandt. Zum Beispiel verglich er sein Talent mit der Echolotung einer Fledermaus.
    »Hmpf«, schnaubte Wasily verächtlich, als sein junger Gefährte seine Theorie zu erläutern versuchte. »Wenn du jemanden suchst, der dir sagt, dass du nicht ganz rund läufst, dann hätte ich das schon vor Monaten tun können.«
    »Vielen Dank«, sagte Fischmehl mit neu erworbenem Sarkasmus.
    »Eine Sache verstehe ich allerdings nicht ganz«, fuhr Wasily fort. »Warum muss jemand, der sich nie verirrt und immer genau weiß, wo sich alles befindet, Landkarten zeichnen? Du brauchst nicht einmal die existierenden Landkarten – warum verwendest du so viel Zeit und Mühe darauf, weitere herzustellen?«
    »Wie ich schon gesagt habe«, erklärte Fischmehl und wies auf die Karten, die an die Wände des kleinen Raumes geheftet waren, »ich fertige Karten von Orten an, die vielleicht nicht einmal existieren – darum interessiere ich mich für alte Bücher und Atlanten, und für alte Methoden der Navigation und des Kartenzeichnens. Ich hoffe immer, dass ich in dem einen oder anderen von ihnen auf einen Ort stoße, der entdeckt und wieder vergessen wurde, oder über den man Vermutungen angestellt hat, ohne ihn jemals zu finden.«
    »Pah«, schnaubte Wasily. »Ich nehme zurück, was ich vorhin gesagt habe – das ist das Dümmste, was ich je gehört habe. Ist es nicht eine furchtbare Verschwendung von Zeit und Energie, nach Orten zu suchen, die es wahrscheinlich gar nicht gibt?«
    »Woher willst du wissen, dass es sie nicht gibt?«
    »Nun«, sagte Wasily, »wenn es noch unentdeckte Orte gäbe, bin ich überzeugt, dass sie dann entdeckt worden wären, als alles andere entdeckt wurde. Wenn sie jetzt immer noch unbekannt sind, dann hat es sie wahrscheinlich auch nie gegeben.«
    »Vielleicht hast du Recht«, sagte Fischmehl nachdenklich. »Würdest du mir bitte mal Moby Dick vom Regal reichen?«
    »Sicher. Ich – «, Wasily hielt inne und warf Fischmehl einen finsteren Blick zu. »Das ist nicht besonders komisch.«
    »Das sollte es auch nicht sein«, sagte Fisch. »Als ich dich um das Buch gebeten habe, was hast du da getan?«
    »Ich habe danach gegriffen, allerdings nicht in Wirklichkeit«, sagte Wasily. »Worauf willst du hinaus?«
    »Womit hast du danach gegriffen?«
    »Ich habe nicht danach gegriffen«, protestierte Wasily. »Für den Fall, dass du es noch nicht bemerkt hast, mir fehlt mein rechter Arm.«
    »Warum

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