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Der zeitlose Winter

Der zeitlose Winter

Titel: Der zeitlose Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A. Owen
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weiteren nicht enden wollenden Wanderung erreichten die Gefährten den Gipfel, in dessen Kuppe sich den Erklärungen des Mönches zufolge die Höhle befand, die sie suchten: eine natürliche Grotte, die Ähnlichkeit mit einem gewundenen Schneckenhaus besaß und Sanbanggulsa genannt wurde.
    »Freut mich, dass ihr Jungs so gut in Form seid«, sagte Wasily. »Wenn ich mich an die Geschichten, die ich gehört habe, richtig erinnere, sind es sechshundert Stufen bis zum Eingang.«
    »Wenn es mehr sind«, sagte Ham drohend und nur halb im Scherz, »dann werde ich dich auf dem Rückweg hinunter rollen.«
     

     
    Am Ende der Treppe stießen sie auf ein kleines umzäuntes Häuschen, das sich direkt vor der Höhle befand. Der Mönch verneigte sich und teilte ihnen mit, dass dies die Behausung des Mannes sei, den sie suchten – doch er wiederholte seine Warnung, dass sie ihn möglicherweise nicht sehen könnten.
    »Können wirihn nicht sehen«, fragte Fisch, »oder dürfen wirihn nicht sehen?«
    »So oder so«, erwiderte der Mönch, »Sie werden ihn sehen oder auch nicht.«
    »Mich wird er empfangen«, sagte Wasily fest. »Darauf könnt ihr euch verlassen.«
    Der untersetzte Mönch blickte sie noch einen Augenblick neugierig an, verneigte sich zum Abschied, wandte sich um und stieg den steilen Pfad wieder hinunter.
    »Was für ein merkwürdiger kleiner Mann«, sagte Fischmehl.
    »Wohl wahr«, stimmte Wasily zu. »Wären wir auf einem Flughafen gewesen, hätte ich ihm zwanzig Dollar gegeben, damit er mit dem Tamburinspielen aufhört. Egal, welches religiöse Traktat er mir auch aufgedrängt hätte – ich hätte es weggeworfen.«
    »Ich finde die Bücher der Hare Krishna immer äußerst bewegend und tiefgründig«, sagte Fischmehl.
    »Wirklich?«
    »Quatsch«, sagte Fisch grinsend. »Du glaubst auch alles.«
    »Habt ihr seine Haare gesehen?«, fragte Ham. »Ist euch aufgefallen, welche Farbe sie hatten?«
    »Seine Haare?«, fragte Fisch, als er Wasilys Korb auf die Hüfte hob und den Riegel des Tors zur Seite schob. »Ich weiß nicht – ich nehme an, sie waren schwarz. Wieso?«
    »Ich bin mir nicht sicher«, sagte Hammurabi, als sie das Tor öffneten, »erst habe ich auch gedacht, sie seien schwarz. Aber als wir den Gipfel des Berges erreicht hatten und er ins Licht der Fackeln trat, hatte ich den Eindruck, als wären seine Haare rot geworden.«
     

     
    In dem kleinen Garten jenseits des Tores sahen sie ein etwa zehnjähriges Kind auf dem Weg knien. Es pfiff ein Klavierstück von Schubert vor sich hin und grub geschäftig die Erde an den Wurzeln einer gedrungenen, breitblättrigen Pflanze um. Es blickte nicht auf, als sie eintraten. Stattdessen beendete es seine Arbeit, legte die Hände auf die Schenkel und schüttelte langsam den Kopf – nicht aus Unglauben wie es schien, sondern aus Resignation.
    »Verdammt, B«, sagte es, ohne sich umzudrehen. »Ich bin im Ruhestand. Kannst du nicht G aufspüren gehen oder Donald Shimoda oder John Lennon? Sollen sie doch tun, was immer es ist, das jemand für dich erledigen soll – wenn nur ich es nicht bin.«
    »Äh, John Lennon ist tot«, sagte Fischmehl ein wenig nervös.
    »Und?«, gab das Kind zurück. »Ich bin auch gestorben, aber das ist kein Grund, den Garten vor die Hunde gehen zu lassen.«
    »Also wirklich, L«, sagte Wasily besänftigend, »das ist nicht ganz fair. Wie oft bist du gestorben? Zwölf oder dreizehn Mal?«
    »Vierzehn. Fünfzehn, wenn man das eine Mal mitrechnet, als mich dieser Knallkopf aus der dritten Klasse beim Untergang der Titanic vom Rettungsboot gestoßen hat. Obwohl ich etwa zwanzig Sekunden später in dem heißen jungen Ding wiedergeboren wurde, das er im Frachtraum gevögelt hat. Ich nehme also an, das gleicht die Sache aus.«
    »Augenblick mal«, sagte Ham, dessen Gesicht sich vor Verwirrung rötete, »willst du uns erzählen, dass dieses… dieses… Kind…?«
    »Ja«, sagte Wasily mit einer Spur Belustigung. »Jungs, darf ich euch den Buddha vorstellen?«
    Als Erwiderung auf ihre verwunderten Blicke verdrehte das Kind namens L die Augen, verbeugte sich tief und würdevoll – nicht ohne zuvor jedoch eine obszöne Geste in Richtung des kichernden Kopfes zu machen.
    »Das ist ein wenig schwer zu schlucken«, sagte Ham.
    »Ähem«, machte Wasily.
    »Tut mir Leid. Aber dieser Unsinn über Tod und Wiedergeburt… das nehme ich ihm einfach nicht ab.«
    »Hey«, sagte L, »ich bin nicht derjenige, der hier mit einem sprechenden Kopf hereingekommen

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