Der zeitlose Winter
ist.«
»Da hat er Recht, Hammurabi«, sagte Wasily.
»Aber«, sagte Fisch und runzelte nachdenklich die Stirn, »warum hat er dich ›B‹ genannt, als wir hereinkamen?«
»Weil das sein Name ist«, sagte L, »oder zumindest ein Teil davon, egal wie er sich jetzt nennt. Ihr müsst wissen, dass der Name eines Menschen nicht immer mit dem übereinstimmt, wie er genannt wird.«
»Hast du noch einen anderen Namen?«, fragte Ham. »Ich meine, abgesehen von ›Der Buddha‹ oder ›L‹?«
»Ja«, sagte er, trat vor und reichte ihm die Hand. »Kim Ge Duk. Ihr könnt mich Duk nennen.«
»Also… Duk«, sagte Fischmehl und schüttelte dem Kind die Hand, wie Ham es getan hatte. »Es freut mich, dich kennen zu lernen. Ich bin Fischmehl und das ist mein Bruder Hammurabi.«
»Hallo, Ham«, sagte Duk.
»Hallo, Duk«, sagte Ham.
»Also, Duk«, sagte Fisch, »da wir gerade beim Thema sind, wie lautet denn Wasilys Name?«
»Es überrascht mich nicht, dass er es euch nicht erzählt hat«, sagte Duk und schenkte dem missmutigen Kopf in Fischs Armen ein spitzbübisches Grinsen. »Wenn er jemals etwas Aufrichtiges täte, würde es ihn wahrscheinlich umbringen… vermute ich. Sein Name«, sagte der kindliche Buddha schlicht, »ist Bragi.«
KAPITEL NEUN
Der Gotteslästerer
Die Brüder starrten den Kopf verblüfft an. Sie wollten beinahe nicht glauben, was sie da hörten. Das Kind Duk war sich offenbar darüber im Klaren, welche Reaktion seine Worte auslösten, und wartete einfach ab.
»Du bist Bragi Boddason?«, fauchte Hammurabi. »Du bist der Hundesohn, der all das verursacht hat?«
Wasily – oder vielmehr Bragi – antwortete nicht, sondern starrte das Kind nur zornig an.
»Ich verstehe das nicht«, sagte Fischmehl und drehte den Kopf des Skalden herum, damit er ihm in die Augen blicken konnte. »Warum hast du uns das nicht gesagt, Wasily… oder wie immer du heißt? Was hat es für einen Sinn, deinen Namen geheim zu halten?«
»Ich sage es euch«, sagte Duk. »Er möchte euch schlicht und ergreifend den Rest der Geschichte nicht erzählen. Habe ich Recht, Bragi?«
Der Kopf warf ihm einen finsteren Blick zu. Dann entspannten sich seine Gesichtszüge und er stieß ein frustriertes Seufzen aus. »Ja, verflixt nochmal, du hast Recht. Aber es widerstrebt mir nicht mehr als dir! Ich habe ihnen zumindest erzählt, wie alles angefangen hat – nur ein oder zwei kleine Details habe ich ausgelassen…«
Ham trat mit einem gefährlichen Blick auf ihn zu, aber Fisch hielt ihn zurück. »Warte. Er hat uns hierher gebracht. Wir sollten ihm zumindest Gelegenheit geben, sich zu rechtfertigen.«
»Also gut«, sagte Ham. »Wie steht’s damit, ›Bragi‹?«
Ein leicht verängstigter Ausdruck huschte über das Gesicht des Skalden und er warf dem Kind einen verzweifelten Blick zu. »Das werde ich – ich gebe euch mein Wort. Aber wir müssen uns um dringendere Angelegenheiten kümmern, und die Zeit selbst ist bereits gegen uns.«
Die gespielte Verschmitztheit auf dem Gesicht des Kindes schien ein wenig zu verblassen. »Was ist passiert, B? Warum seid ihr hierher gekommen?«
»Komm mir nicht damit«, sagte der Kopf empört. »Das weißt du doch selbst am besten – besser als wir alle.«
Das Kind blickte noch einen Augenblick spitzbübisch und trotzig drein, dann schien es in sich zusammenzusinken und auf seinem Gesicht spiegelte sich eine Müdigkeit, die seine offenbare Jugend Lügen strafte. »Ja, schon möglich. Ich glaube, dein Verdacht ist richtig – irgendjemand versucht, eine Galder- Umkehrungin Gang zu setzten.«
Bragi sah die verwirrten Blicke der Brüder und erläuterte: »In ihren Epen und Gedichten unterscheiden die Skalden drei verschiedene Arten von Magie. Die erste ist die Magie der Omen: die Fähigkeit zukünftige Ereignisse vorauszusehen, wie sie sich auf natürliche Weise aus den Ereignissen der Vergangenheit ergeben.«
»Prophetie«, stellte Ham fest.
»Wie die Nornen oder die Sibylle«, sagte Fischmehl.
»In gewisser Weise«, sagte Bragi. »Die zweite Art von Magie ist jene, die einer Galder- Umkehrung zugrunde liegt: das Wirken eines Zaubers, das die Zukunft den eigenen Bedürfnissen entsprechend gestalten soll. Wenn eine solche Magie zu einem bestimmten Grad erfolgreich ist – sei sie in gutem Glauben und Unwissenheit eingesetzt, oder noch gefährlicher, mit dem ganzen Gewicht des Wissens und bestärkt durch Willen und Entschlossenheit –, hat sie unweigerlich Folgen, die dem Urheber schaden
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