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Der zeitlose Winter

Der zeitlose Winter

Titel: Der zeitlose Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A. Owen
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Im Allgemeinen sind sie jedoch so unbedeutend und gegenstandslos, dass die meisten Menschen keine Notiz davon nehmen. Am zweithäufigsten sind jene Umkehrungen, in deren Zeitraum – ganz gleich wie lang dieser sein mag – der vergangene und der zukünftige Kreislauf gleichzeitig sichtbar sind. Das können nur Augenblicke sein oder ein ganzes Leben, doch mitunter reicht die Beobachtung einer Umkehrung aus, um ganze Kulturen zu verändern. Dann gibt es noch die größeren Umkehrungen - jene, bei denen ein oder mehrere Teile eines Kreislaufes vom anderen übernommen werden und umgekehrt…« Während er dies sagte, hatte Fischmehl den Eindruck, als würde Wasily – Bragi – blass werden. »Und jene Umkehrungen, die die Grenzen von Zeit und Raum selbst schaffen, die Enden und Anfänge von Kreisläufen, die ein vollkommenes Neuweben der Muster darstellen.«
    »Und die Galder- Umkehrungen?«, fragte Ham. »Wozu gehören die?«
    »Eine Galder- Umkehrung ist der bewusste Versuch, einen unbedeutenden Übergang in ein vollkommenes Neuweben zu verwandeln, um bei dieser Metapher zu bleiben«, sagte Duk. »Irgendwann im Laufe der Geschichte der Welt hat man herausgefunden, dass bestimmte Übergänge zwischen Kreisläufen besser miteinander vereinbar sind als andere. Daraus erwuchs der Glaube, dass die große Aussöhnung bevorstand: das Ende des größten Kreislaufs überhaupt.«
    »Iduns Rückkehr«, sagte Fisch.
    »Von deiner Warte betrachtet, ja«, erwiderte Duk. »Dieser Glaube hat das Wesen der Aufzeichnungen, die gemacht wurden, grundlegend verändert: Es wurden nicht mehr nur die Kreisläufe festgehalten, sondern auch die Übergänge selbst.«
    »Die meisten ›Geschichten‹ der großen Bibliothek, die mit den Wandteppichen der Nornen ihren Anfang nahmen, befassen sich damit«, warf Bragi ein. »Es sind Chroniken von sichtbaren Umkehrungen.«
    »Und genau diese Bibliothek, diese unerschöpfliche Quelle, bildet auch die größte potentielle Gefahr. Wissen kann nicht böse sein, aber es kann benutzt oder missbraucht werden. Wenn man Zugang zu oder Kenntnis von einer passenden Geschichte besitzt, ist es möglich, beinahe jeden Übergang in eine Galder- Umkehrung zu verwandeln. Bei dem Übergang, mit dem wir es im Augenblick zu tun haben, scheint es sich jedoch um kein unbedeutendes Neuweben zu handeln.«
    »Ist es möglich, dass so etwas durch Zufall geschieht?«, fragte Fischmehl.
    Bragi schnaubte nur und Duk lächelte spöttisch.
    »Das ist unwahrscheinlich«, sagte das Kind. »Ein sehr ernstes und bedeutendes Muster nimmt Gestalt an, und dabei handelt es sich um materielle Veränderungen, nicht nur um Veränderungen der Wahrnehmung. Damit das geschieht, musste eine bestimmte Geschichte heraufbeschworen und ein ganz besonderes Opfer gebracht werden. Das bedeutet, der Verantwortliche kann nur einer von denen sein, die über die Geschichten wachen sollten.«
    »Ist das dein Ernst?«, fragte Fisch. »Eine der Sibyllen?«
    »Möglicherweise. Oder einer ihrer Nachkommen. Ebenso gut könnte es auch einer der Ankoriten sein – die Gelehrten oder heiligen Eremiten, wie immer ihr sie nennen wollt, die die Erhaltung der Bibliothek übernommen haben. Niemand sonst könnte Zugang zu den nötigen Schriftstücken gehabt haben oder über genügend Wissen verfügen, um die Umkehrung in Gang zu setzen.«
    »Wie kommt es, dass du so viel darüber weißt, Duk?«, fragte Hammurabi argwöhnisch. »Was spielst du für eine Rolle in alledem?«
    »Ich weiß, was ich weiß«, sagte das Kind, »weil ich in einem früheren Leben zu denjenigen gehört habe, die über die Bibliothek wachen sollten. Ich war ein Ankorit, so wie einige Zeit später unser Freund Bragi.«
    »Verstehe«, sagte Fisch. »Deswegen musste er dich unbedingt ausfindig machen, weil du älter und weiser bist als…«
    Fischmehls heftiges Erröten verriet seine plötzliche Verlegenheit, als ihm bewusst wurde, dass er mit einem nicht einmal zehnjährigen Kind sprach, in dem Glauben, dass der Junge älter war als der körperlose Skalde, der behauptet hatte… wie alt zu sein? Wie alt war Bragi überhaupt?
    »In gewisser Weise schon«, sagte das Kind und drückte die Schulter des jungen Kartografen. »Genauer gesagt, hat er mich wahrscheinlich ausfindig gemacht, weil ich zu der Zeit, als sich das letzte Mal eine Umkehrung von dieser Größenordnung ereignete, der ranghöchste Ankorit war. Zumindest bin ich der Einzige, der immer noch am Leben ist.«
    »Eines macht mir Sorgen«,

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