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Der zeitlose Winter

Der zeitlose Winter

Titel: Der zeitlose Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A. Owen
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funktionieren.«
    »Das würdest du nicht wagen«, sagte Bragi.
    »Hm«, grübelte Duk. »Vielleicht könnten sie wirklich deine Söhne sein. Sie besitzen auf jeden Fall deine sarkastische Ader.«
    »Vielen Dank auch«, murrte Bragi.
     

     
    »Was ist mit dem anderen Bragi?«, fragte Fischmehl. »Du hast uns eine ganze Menge über den mythologischen Bragi erzählt, von dem wir nicht sicher wissen, ob sich seine Geschichte tatsächlich so ereignet hat, wie die Legende besagt. Du hast aber auch erwähnt, er sei zu Ehren eines Bragi in die Geschichte eingegangen, der wirklich existiert hat. Was ist mit dem? Diesem Dichter aus dem neunten Jahrhundert?«
    »Er sitzt leibhaftig vor euch – äh, sozusagen. Entschuldige«, sagte Duk.
    »Kein Problem«, sagte der Skalde. »Damals hieß ich noch nicht Bragi. Die Sitten jener Zeit verlangten, dass von der Geburt eines Kindes bis zur Zeremonie der Namensgebung eine Wartezeit von neun Tagen eingehalten werden musste.
    Das geschah aus dem Glauben heraus, die Seele würde neun Tage brauchen, um durch die Neun Welten nach Midgard zu gelangen – einen für jede Welt, die sie durchquerte – und dort ihre neue Gestalt anzunehmen.«
    »Midgard?«, fragte Fischmehl.
    »Du erinnerst dich? Das ist der Name der Erde, die Welt, in der die Menschen wohnen. Zumindest nannte man sie damals so«, erklärte Wasily. »Man glaubte, Neugeborene würden während dieser neun Tage keine ›Seele‹ besitzen, wären daher also ›keine Menschen‹. Innerhalb dieses Zeitraums wurden Säuglinge, die man für geistig oder körperlich minderwertig hielt, an Wegkreuzungen ausgesetzt und Odin oder Hei überlassen. Das ist mit mir geschehen – nur dass mich niemand abgeholt hat, obwohl die neun Tage längst vorbei waren.«
    »Und«, sagte Ham, »geschah das wegen deiner geistigen oder wegen deiner körperlichen Mängel?«
    »Ha, ha, ha«, sagte Bragi. »Sehr komisch. Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung, was wirklich passiert ist. Meine Erinnerungen an diese Zeit sind äußerst dürftig. Schließlich war das im achten Jahrhundert.«
    »Im achten?«, rief Fischmehl aus. »Aber ich dachte, du stammst aus dem neunten…«
    »Ein ganzes Jahr habe ich nun schon mit diesem Jungen verbracht«, sagte Bragi zu Duk und zog die Augenbrauen hoch, »… und er kann einer Geschichte immer noch nicht lauschen, ohne mich zu unterbrechen.«
    »Entschuldige«, sagte Fisch. »Was wolltest du sagen?«
    »Eine Karawane Reisender aus Kleinasien, genauer gesagt aus der Türkei, die durch das Gebiet des heutigen Deutschland in die nördlichen Länder unterwegs war, fand mich schließlich. Sie waren indogermanischer Abstammung und nahmen mich als einen der ihren auf. Als ich älter wurde, lehrten sie mich unter anderem, dass jene Götter, die mein Volk verehrte, in Wahrheit Nachkommen der Helden des Trojanischen Krieges seien, und dass alles, was ich über die Erschaffung der Welt zu wissen glaubte, falsch sei. Anscheinend hatten die Griechen und Römer die genauste Vorstellung von der wirklichen Schöpfung.«
    »Was ist mit den anderen Schöpfungsgeschichten?«, fragte Ham. »Wie jene, die du uns erzählt hast, in der die Welt aus dem Körper des Riesen Ymir geschaffen wurde? Oder die Schöpfungsgeschichten der Bibel und des Korans?«
    »Oder das Enuma Elisch der Babylonier oder das Popol Vuh der Quiche-Maya«, sagte Duk und nickte. »Da wären wir wieder bei der alles entscheidenden Frage angekommen: Sind das Geschichten oder Mythen? Wie ich schon sagte, besteht ein Vorteil der Mythen darin, dass sie menschlichen Beschränkungen angepasst werden können. Ein Verständnis der komplexen Ereignisse, die sich zu Anbeginn der Zeit zugetragen haben, konnte nur erreicht werden, indem man sie in einfachere, metaphorische Erzählungen umwandelte, die als Grundlage für Erinnerung und Glauben dienen konnten. Eine Geschichte muss sich nicht wirklich ereignet haben, um wahr zu sein.«
    »Ich glaube an Allah«, sagte Hammurabi, »und ich weiß, dass es ihn gibt.«
    »Und warum glaubst du an ihn?«
    »Ich habe eine Offenbarung des Geistes erlebt«, sagte Ham. »Und ich glaube, dass Allah mein Schicksal lenkt.«
    »Na schön. Es liegt mir fern, über den Glauben anderer Leute zu urteilen. Auf einer rationalen Grundlage ist es jedenfalls nicht möglich, die Existenz eines Gottes oder mehrerer Götter zu beweisen. Andererseits ist es aber auch unmöglich zu beweisen, dass er oder sie nicht existieren.«
    »Es sei denn?«, fragte

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